13. Juli 2002 | 91
5. Bestimmte Negation: Konstruktive Vetos
Weil eine demokratische Weltrechtsordnung von den uns vertrauten globalen Ver-
hältnissen stark abweicht, braucht es noch eine vierte Methode, die kleine, unspek-
takuläre Schwester von Hegels bestimmter Negation: In Auseinandersetzung mit vier
Einwänden soll die Forderung nach einer Weltrepublik an Plausibilität und Profil
gewinnen.
Nach einem ersten Einwand spreche die Forderung der Staatlichkeit ein Exklu-
sivrecht zu und vernachlässige die Alternativen, den Markt und das Regieren ohne
Staatlichkeit („governance without government“). Die Entgegnung verweist auf
einen weiten, nicht auf den modernen Nationalstaat fixierten Staatsbegriff. Außer-
dem macht sie auf den Umstand aufmerksam, daß ein bemerkenswerter Anteil der
neuen inter- und supranationalen Regelwerke und Organisationen staatsähnliche, in
Ansätzen sowohl legislative und exekutive als auch judikative Funktionen über-
nimmt.
Nach einem zweiten Einwand setzt eine globale Rechtsordnung die Men-
schenrechte aufs Spiel, da deren Gewährleistung bisher nur Einzelstaaten gelungen
sei. Dieser Einwand ist nur zu einem Drittel wahr. Denn erstens gefährden die west-
lichen Staaten in ihrer Geschichte die Menschenrechte zunächst selbst. Zweitens gibt
es dort, wo die Menschenrechte schon geschützt werden, teils innerstaatlich, teils
durch Menschenrechtskonventionen nach dem europäischen Vorbild, jene erste vom
römischen ins gentium bekannte Stufe von Weltrecht, das allen Kulturen der Welt
gemeinsam ist. Der zweite Einspruch hat also nicht die Kraft eines absoluten, wohl
die eines konstruktiven Vetos. Nach dem Grundsatz weltstaatlicher Subsidiarität ist
eine föderale Weltrechtsordnung einzurichten. Ohnehin verfügen Staaten, die sich
auf Menschenrechte und Volkssouveränität verpflichten, über eine Legitimität, an der
es den meisten Konkurrenten, einschließlich der internationalen Nichtregierungs-
organisationen, mangelt.
Der dritte Einwand sieht für den Schutz der Menschenrechte und Kulturen ein
einfacheres Mittel: die Demokratisierung aller Staaten. Dagegen spricht aber zum
einen, daß die Gemeinwesen und Kulturen selbst zu schützen bleiben: in ihrer ter-
ritorialen Integrität und in ihrer politischen und kulturellen Selbstbestimmung, und
zum anderen, daß Demokratien nicht als solche friedensgeneigt sind. Infolgedessen
hat auch der dritte Einwand nur die Kraft eines konstruktiven Vetos: Der Rechts-
und Friedensschutz, den schon eine weltweite Demokratisierung zustandebringt,
bleibt ihr überlassen. Wie schon die Individuen, so haben aber auch die Staaten einen
Anspruch, daß Konflikte durch das Recht entschieden werden, wofür es einer welt-
weiten Rechtsordnung bedarf.
Dem vierten Einwand zufolge setzt die globale Rechtsordnung ein allen Men-
schen gemeinsames Rechtsempfinden, em Weltrechtsbewußtsein, voraus, das aber
nicht vorhanden sei. Die Entgegnung weist auf den reichen Strauß tatsächlich beste-
hender Gemeinsamkeiten hm: auf die Gebote der Gleichheit und der Unparteilich-
keit zumindest in der Rechtsanwendung, auf Verfahrensregeln, auf die Unschulds-
vermutung und schützenswerte Grund-Rechtsgüter wie Leib und Leben, Eigentum
5. Bestimmte Negation: Konstruktive Vetos
Weil eine demokratische Weltrechtsordnung von den uns vertrauten globalen Ver-
hältnissen stark abweicht, braucht es noch eine vierte Methode, die kleine, unspek-
takuläre Schwester von Hegels bestimmter Negation: In Auseinandersetzung mit vier
Einwänden soll die Forderung nach einer Weltrepublik an Plausibilität und Profil
gewinnen.
Nach einem ersten Einwand spreche die Forderung der Staatlichkeit ein Exklu-
sivrecht zu und vernachlässige die Alternativen, den Markt und das Regieren ohne
Staatlichkeit („governance without government“). Die Entgegnung verweist auf
einen weiten, nicht auf den modernen Nationalstaat fixierten Staatsbegriff. Außer-
dem macht sie auf den Umstand aufmerksam, daß ein bemerkenswerter Anteil der
neuen inter- und supranationalen Regelwerke und Organisationen staatsähnliche, in
Ansätzen sowohl legislative und exekutive als auch judikative Funktionen über-
nimmt.
Nach einem zweiten Einwand setzt eine globale Rechtsordnung die Men-
schenrechte aufs Spiel, da deren Gewährleistung bisher nur Einzelstaaten gelungen
sei. Dieser Einwand ist nur zu einem Drittel wahr. Denn erstens gefährden die west-
lichen Staaten in ihrer Geschichte die Menschenrechte zunächst selbst. Zweitens gibt
es dort, wo die Menschenrechte schon geschützt werden, teils innerstaatlich, teils
durch Menschenrechtskonventionen nach dem europäischen Vorbild, jene erste vom
römischen ins gentium bekannte Stufe von Weltrecht, das allen Kulturen der Welt
gemeinsam ist. Der zweite Einspruch hat also nicht die Kraft eines absoluten, wohl
die eines konstruktiven Vetos. Nach dem Grundsatz weltstaatlicher Subsidiarität ist
eine föderale Weltrechtsordnung einzurichten. Ohnehin verfügen Staaten, die sich
auf Menschenrechte und Volkssouveränität verpflichten, über eine Legitimität, an der
es den meisten Konkurrenten, einschließlich der internationalen Nichtregierungs-
organisationen, mangelt.
Der dritte Einwand sieht für den Schutz der Menschenrechte und Kulturen ein
einfacheres Mittel: die Demokratisierung aller Staaten. Dagegen spricht aber zum
einen, daß die Gemeinwesen und Kulturen selbst zu schützen bleiben: in ihrer ter-
ritorialen Integrität und in ihrer politischen und kulturellen Selbstbestimmung, und
zum anderen, daß Demokratien nicht als solche friedensgeneigt sind. Infolgedessen
hat auch der dritte Einwand nur die Kraft eines konstruktiven Vetos: Der Rechts-
und Friedensschutz, den schon eine weltweite Demokratisierung zustandebringt,
bleibt ihr überlassen. Wie schon die Individuen, so haben aber auch die Staaten einen
Anspruch, daß Konflikte durch das Recht entschieden werden, wofür es einer welt-
weiten Rechtsordnung bedarf.
Dem vierten Einwand zufolge setzt die globale Rechtsordnung ein allen Men-
schen gemeinsames Rechtsempfinden, em Weltrechtsbewußtsein, voraus, das aber
nicht vorhanden sei. Die Entgegnung weist auf den reichen Strauß tatsächlich beste-
hender Gemeinsamkeiten hm: auf die Gebote der Gleichheit und der Unparteilich-
keit zumindest in der Rechtsanwendung, auf Verfahrensregeln, auf die Unschulds-
vermutung und schützenswerte Grund-Rechtsgüter wie Leib und Leben, Eigentum