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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2002 — 2003

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I. Das Geschäftsjahr 2002
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Sitzung der Phil.-hist. Klasse am 13. Juli 2001
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Öffentliche Gesamtsitzung am 26. Oktober 2002 in Konstanz
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Rede des Präsidenten Gisbert Freiherr zu Putlitz
DOI Artikel:
Höfele, Andreas: Zoologie der Tragödie: Von Menschen und Tieren bei Shakespeare
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https://doi.org/10.11588/diglit.66351#0088
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26. Oktober 2002 | 99

mie der Wissenschaften sich neuen Herausforderungen stellt, wobei sie auf die siche-
re Basis der klassischen Gelehrtengesellschaft aufbauen kann. Denn gerade hier ist die
Mitarbeit von Akademiemitgliedern aller Disziplinen unabdingbar.
Nach diesem kurzen Bericht habe ich die große Freude, Herrn Professor
Andreas Höfele, Ordinarius für Anglistik, Leiter der Shakespeare-Forschungsbiblio-
thek an der Universität München und Präsident der Deutschen Shakespeare-Gesell-
schaft, als Vortragenden der heutigen Sitzung einzuführen. In seiner Heidelberger
Zeit war Herr Höfele ordentliches Mitglied unserer Akademie, nach seiner Berufung
nach München gehört er der Philosophisch-historischen Klasse als korrespondieren-
des Mitglied an. Schon jetzt danke ich ihm sehr herzlich, dass er den heutigen Vor-
trag übernommen hat, dessen Thema lautet: „Zoologie der Tragödie: Von Menschen
und Tieren bei Shakespeare“.
Herr Andreas Höfele hält einen Vortrag: „Zoologie der Tragödie: Von Menschen und
Tieren bei Shakespeare“
Eine drastisch anschauliche Schilderung der Hinrichtung des böhmischen Refor-
mators Jan Hus findet sich in den Actes and Monuments des protestantischen Marty-
rologen John Foxe (1563), einem der wichtigsten Bücher des elisabethanischen Zeit-
alters. Die geschilderte Verbrennung, insbesondere aber die Zerstückelung des Leich-
nams, die seiner vollständigen Einäscherung vorausgeht, stellt einen von der
Strafjustiz beabsichtigten Akt der ‘Vertierung’ dar, den Foxe in seinem Schlußkom-
mentar der Episode zu einer triumphalen Überwindung der Bestie durch den stand-
haften Märtyrer umkehrt. Die im Strafritual inszenierte und bei Foxe im christlichen
Heilsgeschehen aufgehobene ‘Vertierung’ findet in Shakespeares Tragödien ihre
ungemildert ausagierte tragische Entsprechung. Hierbei werden die an amphithea-
tralen Austragungsorten vor großem Publikum inszenierten Martyrien, die Foxe
beschreibt, ebenso wie die den Londoner Schauspielhäusern benachbarten Bären-
hatzarenen für Shakespeares Verhandlungen der Tier-M ensch-Grenze insofern inter-
medial wirksam, als ihrer typologischen Familienähnlichkeit ein ständiges Potential
zu perzeptiven ‘Überblendungen’ innewohnt, mit dessen Wirksamkeit umso mehr zu
rechnen ist, als alle drei Arten von Spektakeln sich ein und dasselbe Publikum teil-
ten. Thomas Dekkers Beschreibung seiner Eindrücke einer Bärenhatz wie die Auf-
nahme des Bärenhatz-Motivs innerhalb der Shakespeareschen Dramen sind daher
lesbar als Martyrien, bei denen die Grenze zwischen Mensch und Tier ihre humani-
stisch erträumte Klarheit zunehmend und unwiederbringlich verliert. Innerhalb der
Shakespeareschen Tragödien läßt sich diese Dynamik besonders deutlich im Macbeth
verfolgen, wo die Zentralfigur bereits zu Beginn des Dramas von den Hexen in die
Welt des Tierischen eingereiht wird und sich im weiteren Verlauf immer wieder mit
der eigenen tierischen Verderbtheit und deren offensichtlicher Nähe zu seinem
menschlich-ambitionierten Streben konfrontiert sieht. Diese Transgression hm zum
Animalischen wird auch durch das Dramenende und den Tod des Protagonisten
nicht aufgehoben, sondern bleibt als irritierende und bedrohliche Komponente des
 
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