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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2002 — 2003

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I. Das Geschäftsjahr 2002
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Antrittsreden
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Wyss, Beat: Antrittsrede vom 13. Juli 2002
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https://doi.org/10.11588/diglit.66351#0112
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Beat Wyss | 123

Antrittsrede von Herrn BEAT WYSS
an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften vom 13. Juli 2002

Herr Präsident, Herren Sekretäre,
meine Damen und Herrn,
ich hatte zu viel Oscar Wilde gelesen, als mir das Stu-
dium der Kunstgeschichte feststand. Das berühmte
Paradox, wonach das Leben die Kunst nachahme, war
mir Richtschnur für meine jugendliche Lebenspla-
nung. Die Entscheidung für ein Studium, dessen Aus-
richtung so zweckfrei zu sein habe wie das Schöne,
wurde von meinen Eltern nicht nur klaglos geduldet,
sondern gar gefordert, so gut wie das Philosophie-
studium meiner Schwester und das Kunststudium mei-
nes Bruders. Erst der Jüngste revoltierte gegen soviel Schöngeist in der Familie und
wurde Mediziner. Meine Kindheitserinnerungen, erzähle ich davon Kindern und
Studenten, lassen mich als revenant aus dem 19. Jahrhundert erscheinen. Vom
beschaulichen Basel, wo ich 1947 geboren wurde, ging es schon früh nach Luzern,
wo ich die Schulen besuchte. Auf dem Turnplatz des Gymnasiums, der heute als
Autoparkplatz belegt ist, durften wir im Schatten von Jesuitenkirche und Regie-
rungsgebäude Fußball spielen. Die Welt war noch in Ordnung, und wenn wir
Dummheiten machten, hieß es: ,,Reißt euch zusammen, ihr gehört zur geistigen
Elite“. In der Tat: In unserer Klasse hatten noch über Zweidrittel Griechisch und
Latein gewählt, ein Jahr Hebräisch war fakultativ. Englisch schien vielen fast zu ab-
seitig und einige Lehrer buchstabierten denn auch, falls einmal ein Musik- oder
Romantitel aus jenem fernen Kulturraum in die Wirklichkeit des Unterrichts vor-
drang, so wie er gedruckt steht. Natürlich durfte man es nicht offen ausdrücken,
doch irgendwie herrschte die Auffassung vom kulturlosen Cowboy-Land Amerika,
das uns zwar den Frieden von 1945 beschert hatte, aber auch Mikey Maus, dessen
Schundhefte mein Vater mir strengstens verbot. Als Ministrant der Jesuitenkirche und
Sodale der Manamschen Kongregation daselbst gab ich meinen Eltern keinerlei
Anlass, sich Sorgen zu machen, dass ich dereinst aus der Art schlagen könnte. Im
großen Ganzen haben sie recht behalten, auch wenn ihre Hoffnungen sich nicht in
allen Punkten erfüllt haben. Offizier bin ich nicht geworden, an dessen Arm meine
Mutter so gern dann sonntags zur Kirche stolziert wäre, auch habe ich nicht Vaters
Praxis für akademische Berufs- und Laufbahnberatung übernommen, einen Beruf,
den er als einer der ersten in der Schweiz erfunden hatte, weil er, dessen verdächtige
ich ihn noch heute, sich nie recht entscheiden konnte, was er einmal werden wolle.
Ich furchte, etwas an dieser Anlage hat sich in mir vererbt.
Das Klima kleinstädtischer Behäbigkeit bestimmte meinen Lebensweg, da ich
als Student alles daran setzte, dieser zu entkommen und von ihr doch zugleich so
durch und durch getränkt war. Zürich ist zwar nur 48 Kilometer von Luzern ent-
 
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