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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2002 — 2003

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I. Das Geschäftsjahr 2002
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Antrittsreden
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Wyss, Beat: Antrittsrede vom 13. Juli 2002
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https://doi.org/10.11588/diglit.66351#0114
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Beat Wyss

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Mitte eingesetzt, begann es für mich da erst interessant zu werden. 1975 wurde ich
Assistent am Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Zürich. Ich danke es
meinem Doktorvater Adolf Reinle, dass er mir die Freude an der Archivarbeit weckte.
Damit entkam ich nicht nur der direkten Schusslinie ideologischer Kreuzfeuer,
sondern gewann die damals fast unbesiedelte Kolonie der Architektur zwischen Auf-
klärungsklassizismus und Jugendstil, der bis dahin als Kitsch abgetan war. Es ging
daraus nicht nur meine Doktorarbeit über den Kavaliersarchitekten Louis Pfyffer
von Wyher (1783—1845) hervor, sondern auch eine jahrelange Beschäftigung mit
dem Inventar Neuerer Schweizer Architektur, das vom Eidgenössischen National-
fonds gefordert wird.
Von derselben Stiftung erhielt ich, mit 27 promoviert, nach meiner Assistenz-
zeit ein dreijähriges Stipendium für einen Aufenthalt in Berlin und in Rom. Als reiner
Architekturhistoriker fühlte ich mich nicht ganz ausgelastet; ich hatte noch eine
intellektuelle Rechnung offen, die mich persönlich beschäftigte. Gewiss war Luzern
eine provinzielle kleine Stadt, doch was die Gegenwartskunst betraf, hatte sie dank
dem damaligen Kurator des Kunstmuseums, Jean-Christophe Ammann, internatio-
nalen Anschluss. Mit meiner Begeisterung für Happening, Fluxus und Minimal Art
kam ich bei den Genossen unter den Kunsthistorikern nicht gut an: Sie hatten, was
Moderne und Gegenwart betraf, einen ausgesprochen schlechten Geschmack. Für
sie war die ganze Westkunst ein Ausdruck bourgeoiser Dekadenz. Sie frönten einem
imaginären sozialistischen Realismus, als müssten sie im Nachhinein noch sich Stalins
Kulturpolitik unterwerfen. Dieser Konflikt, der in der Geschichte unseres Fachs
noch kaum zur Sprache kam, war der äußere Anlass, mich mit Hegels Ästhetik und
seiner These vom Ende der Kunst zu beschäftigen. Das Buch: „Trauer der Vollen-
dung“ (1985) hat seine Leser gefunden, eine Habilitation ist daraus nicht geworden.
Die Auflage der Kommission, meinen Anmerkungsapparat wissenschaftlich zu ergän-
zen, schlug der gekränkte Schriftsteller aus. Heute, da ich selber in solchen Kom-
missionen sitze, blicke ich meiner Jugend über die Schulter und kann den klugen
Rat geben, Schriften für universitäre Zwecke besser nicht mit Herzblut zu verfassen.
Ich hatte aber etwas besseres vor und ging in die freie Wirtschaft. Es waren die
tollen achtziger Jahre, Urständ feierte die Postmoderne und der Verlag Artemis —
Winkler bot mir an, das Architekturprogramm zu betreuen. Bei vielen Publikatio-
nen ging es darum, möglichst viel Hochganz mit möglichst wenig Text in möglichst
vielen Sprachen zu vertreiben, bis es branchenüblich im Ramsch landen konnte. Dass
sich unter den Nischentiteln zum Thema Quellen zur Architektur mein illustrierter
Vitruv: „Die zehn Bücher zur Baukunst“ als Longseller gehalten hat, freut den Lek-
tor, der stets kalkulieren musste zwischen den Zwängen des Markts und kunsthisto-
rischen Interessen. Ganz hatte ich der Wissenschaft ja nicht entsagt, bei der Archi-
tekturabteilung der Eidgenössisch Technischen Hochschule in Zürich konnte ich seit
1986 als Lehrbeauftragter im Vorlesungssaal weiterhin den Stallgeruch der Lehre
atmen.
1989 war nicht nur politisch ein bedeutendes Datum, sondern brachte auch in
meinem Leben eine überraschende Wende: Erstens bot Beat Brenk mir an, mich an
der Universität Basel zu habilitieren. Zweitens kam eine Einladung an das Getty-
 
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