158 | ANTRITTSREDEN
einen Ruf als Experte zu verlieren haben, wird sich die Einsicht durchsetzen, dass
faire Bewertung der einzige Ausweg aus dem Dilemma darstellt. Wie in der Wissen-
schaft können nur durch solchen fairen und an echter Leistung orientiertem Wett-
bewerb die besten Ideen verstärkt und schwächere Konkurrenten ausgesondert wer-
den - ganz analog zum Selektionsprinzip in der biologischen Evolution.
Apropos Evolution: alle lernfähigen Systeme unterliegen meines Erachtens den
grundlegenden Gesetzen der Evolution. In einem kreativen Prozess des „loosening“
müssen einerseits neue, abweichende Ideen generiert und propagiert werden.
Sodann müssen in einem stringenten Prozess des „tightening“ (z.B. durch Peer-
Reviewing) die besten Ideen verstärkt und zur „Fortpflanzung“ ermutigt werden,
während die schwachen Ideen aussterben sollen. Wie die biologische Evolution
funktioniert die wissenschaftliche Evolution nur in dem Maße, wie (nationale oder
ideologisch bedingte) Inzucht vermieden wird, Kreativität und Pluralismus begün-
stigt werden und das Selektionssystem gut funktioniert. Anders als in der gegenwär-
tigen politischen Kultur suggeriert, reicht es nicht, wenn überhaupt irgendwie eva-
luiert und selektiert wird.Vielmehr kommt es auf em valides Selektionskriterium an,
das die besten und nicht die populärsten oder angenehmsten Exemplare fordert. Eine
kurzweilige und mit durch Medien professionell ausgestaltete Lehrveranstaltung,
welche optimal evaluiert wird, muss keineswegs den größten Lernerfolg bringen.
Eine vereinfachende Theorie, die sich gut verkaufen und verstehen lässt, kann die
eigentliche Entwicklung einer Wissenschaft verzögern. Eine an konventionellen,
„scholastischen“ Prinzipien ausgerichtete Selektion kann kreativen Fortschritt gera-
dezu blockieren.
Ich meine, wenn man die Analogie zwischen Evolution und Wissenschaft rich-
tig versteht, muss man einsehen, dass nachhaltiger Erfolg und produktive Arbeit in
der Wissenschaft beides verlangen, „loosening“ und „tightening“, das heißt, spieleri-
sche Exploration als Mittel zur Kreativität und zur Kritik an konventionellen
Annahmen und gleichzeitig hohe Stringenz in der methodischen und konzeptuel-
len Bewertung der Ergebnisse kreativen Nachdenkens. Seit ich selbst em wenig Ein-
fluss auf die Lehre und Forschung nehmen darf, versuche ich nach Kräften, ein
Umfeld herzustellen, welches das dialektische Zusammenwirken beider Prinzipien
zugleich unterstützt - statt nur auf Stringenz oder nur auf freie spielerische Explo-
ration zu setzen.
Ganz im Sinne der Evolutionsmetapher habe ich gelernt zu schätzen, was Exi-
stentialisten einmal „Widerstandserfahrung“ genannt haben. Eine wirklich gute
Theorie oder ein starker empirischer Beitrag muss Gegenwind im Gesicht gespürt
haben, defensive Reaktionen und oftmals gar Spott oder Abwertung durch Vertreter
des Establishment, die irgendwie kommen sehen, dass hier eine echte Bedrohung
vorliegt. Nachhaltiger Einfluss auf lange Sicht korreliert allemal — oder zumindest
meistens — mit der Stärke anfänglicher Widerstände. Wenn ein Beitrag sich aber erst
einmal gegen solche Widerstandserfahrung durchgesetzt hat, ist er gerüstet wie nach
einer Impfung für kritische Gegenangriffe. In diesem Sinne haben auch meine wich-
tigsten Arbeiten lange um die Publikation gekämpft und waren einem besonders
strengen Peer-Reviewing ausgesetzt.
einen Ruf als Experte zu verlieren haben, wird sich die Einsicht durchsetzen, dass
faire Bewertung der einzige Ausweg aus dem Dilemma darstellt. Wie in der Wissen-
schaft können nur durch solchen fairen und an echter Leistung orientiertem Wett-
bewerb die besten Ideen verstärkt und schwächere Konkurrenten ausgesondert wer-
den - ganz analog zum Selektionsprinzip in der biologischen Evolution.
Apropos Evolution: alle lernfähigen Systeme unterliegen meines Erachtens den
grundlegenden Gesetzen der Evolution. In einem kreativen Prozess des „loosening“
müssen einerseits neue, abweichende Ideen generiert und propagiert werden.
Sodann müssen in einem stringenten Prozess des „tightening“ (z.B. durch Peer-
Reviewing) die besten Ideen verstärkt und zur „Fortpflanzung“ ermutigt werden,
während die schwachen Ideen aussterben sollen. Wie die biologische Evolution
funktioniert die wissenschaftliche Evolution nur in dem Maße, wie (nationale oder
ideologisch bedingte) Inzucht vermieden wird, Kreativität und Pluralismus begün-
stigt werden und das Selektionssystem gut funktioniert. Anders als in der gegenwär-
tigen politischen Kultur suggeriert, reicht es nicht, wenn überhaupt irgendwie eva-
luiert und selektiert wird.Vielmehr kommt es auf em valides Selektionskriterium an,
das die besten und nicht die populärsten oder angenehmsten Exemplare fordert. Eine
kurzweilige und mit durch Medien professionell ausgestaltete Lehrveranstaltung,
welche optimal evaluiert wird, muss keineswegs den größten Lernerfolg bringen.
Eine vereinfachende Theorie, die sich gut verkaufen und verstehen lässt, kann die
eigentliche Entwicklung einer Wissenschaft verzögern. Eine an konventionellen,
„scholastischen“ Prinzipien ausgerichtete Selektion kann kreativen Fortschritt gera-
dezu blockieren.
Ich meine, wenn man die Analogie zwischen Evolution und Wissenschaft rich-
tig versteht, muss man einsehen, dass nachhaltiger Erfolg und produktive Arbeit in
der Wissenschaft beides verlangen, „loosening“ und „tightening“, das heißt, spieleri-
sche Exploration als Mittel zur Kreativität und zur Kritik an konventionellen
Annahmen und gleichzeitig hohe Stringenz in der methodischen und konzeptuel-
len Bewertung der Ergebnisse kreativen Nachdenkens. Seit ich selbst em wenig Ein-
fluss auf die Lehre und Forschung nehmen darf, versuche ich nach Kräften, ein
Umfeld herzustellen, welches das dialektische Zusammenwirken beider Prinzipien
zugleich unterstützt - statt nur auf Stringenz oder nur auf freie spielerische Explo-
ration zu setzen.
Ganz im Sinne der Evolutionsmetapher habe ich gelernt zu schätzen, was Exi-
stentialisten einmal „Widerstandserfahrung“ genannt haben. Eine wirklich gute
Theorie oder ein starker empirischer Beitrag muss Gegenwind im Gesicht gespürt
haben, defensive Reaktionen und oftmals gar Spott oder Abwertung durch Vertreter
des Establishment, die irgendwie kommen sehen, dass hier eine echte Bedrohung
vorliegt. Nachhaltiger Einfluss auf lange Sicht korreliert allemal — oder zumindest
meistens — mit der Stärke anfänglicher Widerstände. Wenn ein Beitrag sich aber erst
einmal gegen solche Widerstandserfahrung durchgesetzt hat, ist er gerüstet wie nach
einer Impfung für kritische Gegenangriffe. In diesem Sinne haben auch meine wich-
tigsten Arbeiten lange um die Publikation gekämpft und waren einem besonders
strengen Peer-Reviewing ausgesetzt.