Klaus Fiedler
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Spätestens an dieser Stelle bin ich genötigt, wenigstens einen kleinen inhaltli-
chen Einblick in meine Arbeit zu geben. Im Interesse Ihrer Zeit und angesichts der
Grenzen einer kurzen Antrittsrede möchte ich dies auf ein Minimum beschränken,
wobei ich natürlich gerne bereit bin, zu gegebener Zeit mehr aus meiner Arbeit zu
erzählen. Um einen Eindruck von den Themen zu vermitteln, an denen ich arbeite,
könnte ich eine Liste von Schlagworten aufzählen, die jedoch nur dem Experten
etwas sagen: Ich vertrete ganz allgemein eine experimentell ausgerichtete Kognitive
Sozialpsychologie mit den Interessensschwerpunkten Sprache und Kommunikation,
induktives Denken, emotionale Einflüsse auf das Gedächtnis, Lüge und Täuschung,
rationales Urteilen und Entscheiden und kognitive Illusionen, Methodik, Compu-
tersimulation und Anwendungen im Bereich der Rechts- und Wirtschaftspsycholo-
gie.
Statt diese Schlagworte näher auszuführen, möchte ich lieber in der verblei-
benden Zeit ein wenig laut darüber nachzudenken, was ich für meine ergiebigste
Forschungsheuristik halte und was mir nebenbei gesagt auch die meiste Wider-
standserfahrung einbringt. Diese Heuristik — man könnte sie bezeichnen als einen
kognitiv-ökologischen Ansatz — lässt sich mit Vorbildern wie Kurt Lewin oder Egon
Brunswik etwa so formulieren: Bevor man das Verhalten von Individuen mit ihren
kognitive Strukturen und emotionalen Kräften angemessen untersuchen und richtig
verstehen kann, muss man zunächst die Textur und Verteilung der Umwelt beschrei-
ben, welche auf das Individuum einwirkt und dessen Handlungsraum eingrenzt. So
einfach und leicht nachvollziehbar diese Einsicht klingt, sie findet bisher wenig Platz
in psychologischen Theorien und Modellen, die traditionell im Individuum nach
den Ursachen von Leistungen und Fehlleistungen sucht. Beherzigt man jedoch diese
zentrale Einsicht und bezieht die Struktur der Informationsumwelt systematisch in
die Theoriebildung mit em, dann ergeben sich auf einmal ganz ketzerhafte, alterna-
tive Erklärungen für lange bekannte psychologische Phänomene, die eine Menge
Widerstandserfahrung auslösen, aber auch etwas in Bewegung bringen.
Nehmen wir als Beispiel eine ganz einfache, völlig unstrittige Eigenschaft der
sozialen Umwelt, in der wir leben: Angehörige von Majoritäten kommen häufiger
vor als Angehörige von Minoritäten. Außerdem ist erwünschtes, normkonformes
Verhalten per defimtionem wahrscheinlicher als unerwünschtes, normabweichendes
Verhalten. Nehmen wir an, der relative Anteil erwünschten, positiven Verhaltens in
beiden Gruppen, Majorität und Minorität, ist gleich hoch, sagen wir 2/3 positives
(vs. 1/3 negatives) Verhalten. Eine solche Umwelt kann man im Experiment herstel-
len, indem man Versuchsteilnehmer mit einer Reihe von, sagen wir, 24 positiven und
12 negativen Verhaltensbeschreibungen präsentiert, wobei von den positiven 16 der
Majorität und 8 der Minorität zugeschrieben werden.Von den 12 negativen werden
im selben Verhältnis 8 der Majorität und 4 der Minorität zugeschrieben. Obwohl der
Anteil positiven Verhaltens in der Majorität (16 aus 24) derselbe ist wie in der Mino-
rität (8 aus 12), gewinnen die Teilnehmer einen systematisch besseren Eindruck von
der Majorität als von der Minorität. Das zeigt sich in verschiedenen Maßen: Die
Minorität bekommt weniger gute Eigenschaften zugeschrieben; Häufigkeitsschät-
zungen unterschätzen die Anzahl positiver Verhaltensweisen der Minorität; und im
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Spätestens an dieser Stelle bin ich genötigt, wenigstens einen kleinen inhaltli-
chen Einblick in meine Arbeit zu geben. Im Interesse Ihrer Zeit und angesichts der
Grenzen einer kurzen Antrittsrede möchte ich dies auf ein Minimum beschränken,
wobei ich natürlich gerne bereit bin, zu gegebener Zeit mehr aus meiner Arbeit zu
erzählen. Um einen Eindruck von den Themen zu vermitteln, an denen ich arbeite,
könnte ich eine Liste von Schlagworten aufzählen, die jedoch nur dem Experten
etwas sagen: Ich vertrete ganz allgemein eine experimentell ausgerichtete Kognitive
Sozialpsychologie mit den Interessensschwerpunkten Sprache und Kommunikation,
induktives Denken, emotionale Einflüsse auf das Gedächtnis, Lüge und Täuschung,
rationales Urteilen und Entscheiden und kognitive Illusionen, Methodik, Compu-
tersimulation und Anwendungen im Bereich der Rechts- und Wirtschaftspsycholo-
gie.
Statt diese Schlagworte näher auszuführen, möchte ich lieber in der verblei-
benden Zeit ein wenig laut darüber nachzudenken, was ich für meine ergiebigste
Forschungsheuristik halte und was mir nebenbei gesagt auch die meiste Wider-
standserfahrung einbringt. Diese Heuristik — man könnte sie bezeichnen als einen
kognitiv-ökologischen Ansatz — lässt sich mit Vorbildern wie Kurt Lewin oder Egon
Brunswik etwa so formulieren: Bevor man das Verhalten von Individuen mit ihren
kognitive Strukturen und emotionalen Kräften angemessen untersuchen und richtig
verstehen kann, muss man zunächst die Textur und Verteilung der Umwelt beschrei-
ben, welche auf das Individuum einwirkt und dessen Handlungsraum eingrenzt. So
einfach und leicht nachvollziehbar diese Einsicht klingt, sie findet bisher wenig Platz
in psychologischen Theorien und Modellen, die traditionell im Individuum nach
den Ursachen von Leistungen und Fehlleistungen sucht. Beherzigt man jedoch diese
zentrale Einsicht und bezieht die Struktur der Informationsumwelt systematisch in
die Theoriebildung mit em, dann ergeben sich auf einmal ganz ketzerhafte, alterna-
tive Erklärungen für lange bekannte psychologische Phänomene, die eine Menge
Widerstandserfahrung auslösen, aber auch etwas in Bewegung bringen.
Nehmen wir als Beispiel eine ganz einfache, völlig unstrittige Eigenschaft der
sozialen Umwelt, in der wir leben: Angehörige von Majoritäten kommen häufiger
vor als Angehörige von Minoritäten. Außerdem ist erwünschtes, normkonformes
Verhalten per defimtionem wahrscheinlicher als unerwünschtes, normabweichendes
Verhalten. Nehmen wir an, der relative Anteil erwünschten, positiven Verhaltens in
beiden Gruppen, Majorität und Minorität, ist gleich hoch, sagen wir 2/3 positives
(vs. 1/3 negatives) Verhalten. Eine solche Umwelt kann man im Experiment herstel-
len, indem man Versuchsteilnehmer mit einer Reihe von, sagen wir, 24 positiven und
12 negativen Verhaltensbeschreibungen präsentiert, wobei von den positiven 16 der
Majorität und 8 der Minorität zugeschrieben werden.Von den 12 negativen werden
im selben Verhältnis 8 der Majorität und 4 der Minorität zugeschrieben. Obwohl der
Anteil positiven Verhaltens in der Majorität (16 aus 24) derselbe ist wie in der Mino-
rität (8 aus 12), gewinnen die Teilnehmer einen systematisch besseren Eindruck von
der Majorität als von der Minorität. Das zeigt sich in verschiedenen Maßen: Die
Minorität bekommt weniger gute Eigenschaften zugeschrieben; Häufigkeitsschät-
zungen unterschätzen die Anzahl positiver Verhaltensweisen der Minorität; und im