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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2003 — 2004

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III. Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses: Das WIN-Kolleg
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2. Forschungsschwerpunt "Kulturelle Grundlagen der Europäischen Einigung"
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https://doi.org/10.11588/diglit.67592#0298
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FÖRDERUNG DES WISSENSCHAFTLICHEN NACHWUCHSES

Wissenschaften sind somit komplexe Symbole, deren immanenter Funktionsmecha-
nismus im Vordergrund steht. Die Betätigung dieses Mechanismus vermag das Welt-
ganze jedoch nicht zu erklären, sondern vergegenwärtigt es symbolisch. Die symbo-
lische und die umversalisierte Dimension der Rationalität treten im historischen
Prozeß allenfalls auseinander und grenzen sich schärfer voneinander ab. Von Ablö-
sung - finde sie nun in Form von Brüchen oder in einem gestreckten Prozeß statt -
kann keine Rede sein.
Faßt man die beiden Denkweisen schließlich unter einer historischen Per-
spektive in den Blick, zeigen sich Akzentverschiebungen der beiden Modi in ihrem
wechselseitigen Verhältnis. Wie erste Ergebnisse der gemeinsamen Arbeit bestätigen,
läßt sich spätestens seit dem 10. Jahrhundert — nicht erst seit der Wende vom 12. zum
13. Jahrhundert — ein Ausdifferenzierungsprozeß beobachten, in dessen Verlauf sich
die universalisierte Rationalität fortschreitend gegen die symbolische absetzt und
dann in separierten Bereichen, den sich ausbildenden Einzelwissenschaften, immer
deutlicher ausprägt. Innerhalb dieser Disziplinen, die gesteigerte Anforderungen an
die methodische Präzision der Erkenntnis stellen, kommt den symbolisch-imagina-
tiven Verfahrensweisen schließlich keine erkennbare Bedeutung mehr zu. Indes bleibt
auch diese andere Dimension der Rationalität erhalten; sie wird jedoch abgeblendet
und dominiert nicht-wissenschaftliche Bereiche wie den der Religion, der Fröm-
migkeitspraxis, schließlich auch den der Kunst. Genau dadurch, daß die Universali-
sierungstendenzen stets im Horizont einer bisweilen unausdrücklichen Perspektive
auf das Ganze stehen und sich innerhalb dieses Rahmens positionieren — und sei es
per negationem gewinnen die abendländische Kultur und das ihr zugrunde liegen-
de rationale Selbstverständnis ihre konstitutive Selbstreferentialität. Auch der im
engeren Sinne wissenschaftliche Zugang zur Wirklichkeit impliziert daher immer —
bis in die Gegenwart — ein Moment der Welterschließung und Weltdeutung. Die
europäische Kultur ist damit als eine Kultur der diskursiven Interpretation und
Selbstauslegung zu bestimmen, nicht aber der definitiven Erkenntnis.
Ausblick
Unter dieser Perspektive ist aber auch die Rationalisierungsbewegung seit dem 10.
Jahrhundert auf ihre Stellung im dialektischen Vermittlungsprozeß der beiden
Dimensionen der Rationalität und damit auf ihre historische Begründung zu befra-
gen. Der Versuch einer historischen Rekonstruktion darf sich dabei jedoch nicht dar-
auf beschränken, das Universahsierungsgeschehen als einen gestreckten Prozeß zu
interpretieren, der lediglich deutlich früher beginnt, als dies üblicherweise ange-
nommen wird. Ebenso wie die ausschließliche oder isolierte Geltung der universa-
lisierten Rationalität von einer bestimmbaren historischen Bruchstelle an zurückzu-
weisen ist, berechtigen die bisherigen Ergebnisse der Projektarbeit überdies zu der
Annahme, daß sich schon die Frage nach einem Beginn des universalisierten Den-
kens nicht sinnvoll stellen läßt. Denn wie sich zeigte, ist das Konzept einer ‘univer-
salisierten’, also begrifflich-diskursiven Rationalität bereits seit der Spätantike durch-
gängig präsent. Allerdings relativieren die spätantiken und frühmittelalterlichen
 
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