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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2007 — 2007

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I. Das Geschäftsjahr 2007
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Jahresfeier am 9. Juni 2007
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Wolgast, Eike: Pax optima rerum: Theorie und Praxis des Friedensschlusses in der Neuzeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.66959#0044
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9. Juni 2007

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1919 verständlicherweise unerwähnt. Hatten 1871 sechs Artikel zur Regelung aller
mit der Abtretung zusammenhängenden Fragen genügt, so enthielt der Versailler
Vertrag außer der Präambel 28 Artikel (Art. 51-79) sowie eine Anlage mit weiteren
vier Paragraphen.
Anders als 1871 wurde dem besiegten Staat — wie in den napoleonischen Ver-
trägen seit 1805 — eine drastische Abrüstung auferlegt; wie 1815 und 1871 besetzten
Truppen der Sieger zur Sicherheit die Grenzgebiete, allerdings mit Fristen bis zu 15
Jahren. Da die Kriegsgefangenen der Alliierten schon auf Grund des Waffenstillstands
entlassen worden waren, betraf die Regelung der Kriegsgefangenenfrage im Versail-
ler Vertrag nur noch Deutsche in alliiertem Gewahrsam. Wie in Brest-Litowsk
konnten die Gefangenen zwischen drei Optionen wählen; allerdings behielt sich der
Gewahrsamsstaat vor, Gefangene auch zwangsweise zu repatriieren. Für die Kosten
der Heimschaffung und die Transportmittel hatte die deutsche Regierung aufzu-
kommen. Gleichberechtigt agierten beide Vertragsparteien dagegen bei der Ver-
pflichtung zur Pflege der Kriegsgräber (Art. 225/226).
Die außer in diesem Fall durchgängige rechtliche Ungleichheit der Vertrags-
partner wurde dadurch unterstrichen, daß es einen verbindlichen Vertragstext nur in
englischer und in französischer Sprache gab; beide Sprachen waren gleichwertig
(Art. 440). Die anderen Vorortverträge wurden auch in Italienisch abgefaßt — maß-
gebend war jedoch allein der französische Text (außer für die Völkerbundssatzung).
Wie ein Friedensvertrag nach dem Abklingen der aufs äußerste gesteigerten
Emotionen alternativ gestaltet werden konnte, dokumentiert der Vertrag von Lau-
sanne mit der Türkei, der 1923 den Vertrag von Sevres ablöste. Uber Kriegsursachen
und Kriegsschuld wurde jetzt nichts mehr gesagt, stattdessen mit Inkrafttreten des Ver-
trags der Friedenszustand definitiv wiederhergestellt, und zwar — wie traditionell —
zwischen den Staaten und ihren Staatsangehörigen. Em Zusatzabkommen gewährte
eine umfassende Amnestie für politische Vergehen der Vergangenheit; sie galt für alle
Seiten. Sogar die alte Oblivionsformel wurde noch einmal aufgenommen: Für alle
Ereignisse, die den Frieden im Nahen Osten gestört hatten, sollte Vergessen gelten.
Der Zweite Weltkrieg ist bekanntlich friedensvertragsrechtlich nur unvollstän-
dig abgeschlossen worden. Das Großdeutsche Reich kam trotz seiner Siege nicht in
die Situation, Frieden zu schließen. Die besetzten Staaten Mittelosteuropas sollten
nach der Vorstellung der Nationalsozialisten ohnehin nicht wieder erstehen; die
Phantasien über einen Frieden mit Frankreich in Münster, der den Westfälischen
Frieden im Nachhinein ungeschehen machen sollte, kann man sich vermutlich nicht
sinister genug vorstellen.35 Nach Kriegsende schlossen die Alliierten 1947 lediglich
mit den Satellitenstaaten Deutschlands reguläre Friedensverträge, die in ihren prin-
zipiellen Bestimmungen identisch waren. In denVerträgen setzte sich die Linie von
1919 nur abgeschwächt fort, was dadurch erleichtert wurde, daß Italien, Ungarn,

Vgl. Werner Jochmann (Hg.), Adolf Hitler: Monologe im Führerhauptquartier 1941-1944, Ham-
burg 1980, 367: „Ich habe immer meinen Leuten gesagt: Nicht um die Beseitigung des Versail-
ler Vertrages handelt es sich, sondern um die des Westfälischen Friedens. Im Versailler Vertrag
schwebte den Franzosen doch nichts anderes vor als die Erneuerung des Westfälischen Friedens.“
 
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