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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2007 — 2007

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I. Das Geschäftsjahr 2007
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Jahresfeier am 9. Juni 2007
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Wolgast, Eike: Pax optima rerum: Theorie und Praxis des Friedensschlusses in der Neuzeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.66959#0043
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JAHRESFEIER

(Frankreich, Großbritannien, Italien japan, USA) zur Rechenschaft gezogen werden.
Als Urteilsnorm hatten die „erhabensten Grundsätze der internationalen Politik“
(„principes les plus eleves de la politique“) zu dienen; Ziel des Verfahrens war es,
„den feierlichsten Verpflichtungen und internationalen Verbindlichkeiten ebenso wie
dem internationalen Sittengesetz („morale internationale“) Achtung zu verschaffen“.
Deutschland - dasselbe galt für die anderen besiegten Staaten - sollte ferner Perso-
nen, die „wegen eines Verstoßes gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges“
angeklagt waren, an alliierte Militärgerichte ausliefern. Der gerechte Friede forderte
Gerichtsverfahren gegen alle, die die Norm der Gerechtigkeit verletzt hatten. Den
Gedanken eines internationalen Gerichtshofes gegen diejenigen, „die zum Kriege
gehetzt haben“, hatte schon Bismarck im Herbst 1870 gesprächsweise ventiliert;
unter Kriegshetzern verstand er „Zeitungsschreiber, Deputierte, Senatoren, Mini-
ster“ und bezog auch Napoleon III. mit em. Der Gerichtshof sollte jedoch anders als
1919 aus Richtern der im gegenwärtigen Krieg neutralen Großmächte bestehen. Da
diese die Aufgabe vermutlich ablehnen würden, konnte das Gericht nach Bismarcks
Überlegung auch aus den Nationen, die unter dem Krieg am meisten litten, konsti-
tuiert werden, nämlich „aus französischen Deputierten und Deutschen“.34 Ernsthaft
verfolgt hat Bismarck den Plan allerdings nicht. 1918 war im Waffenstillstandsab-
kommen festgelegt worden, daß in den von den deutschen Truppen zu räumenden
Gebieten niemand „wegen der Teilnahme an Kriegsmaßnahmen“ verfolgt werden
dürfe (Art. 6); als Rest einer Amnestie mußten sich im Versailler Vertrag die deutsche
und die polnische Regierung im Voraus verpflichten, in den Abstimmungsgebieten
in Oberschlesien niemanden wegen „politischer Vorkommnisse“ zu bestrafen (Art.
88). Im Frieden von Saint-Germain (Art. 92) und von Trianon (Art. 76) wurde eine
Amnestie für alle Untertanen der Habsburger Monarchie ausgesprochen; sie galt für
das politische Verhalten seit dem 28. Juli 1914.
Erstmals wurden in einem Friedensvertrag Volksabstimmungen über die
Zugehörigkeit zu einem Staat vorgesehen — eine Folge des modernen Prinzips des
Selbstbestimmungsrechts derVölker; allerdings sollten sie teilweise erst nach 15 Jah-
ren stattfinden (Saargebiet). Für Elsaß-Lothringen galt dies bekanntlich nicht,
obwohl Frankreich bei der Zulassung eines Plebiszits nach der miserablen deutschen
Elsaß-Politik der vergangenen Jahrzehnte vermutlich wenig riskiert hätte. Der Ver-
gleich mit 1871 zeigt, wie sehr sich hier die Maßstäbe verändert hatten. Damals war
ohne jede Motivierung der neue Grenzverlauf beschrieben worden. 1919 wurde die
Restitution mit einer eigenen Präambel moralisch und juristisch aufgeladen: Die
Rückgabe wurde als „sittliche Verpflichtung“ („l’obligation morale“) bezeichnet,
um das Unrecht wieder gutzumachen, das Deutschland 1871 am Recht Frankreichs
geübt hatte, und ebenso am Willen der Elsaß-Lothringer, die trotz des Protestes ihrer
Vertreter in der Nationalversammlung von ihrem Vaterland getrennt wurden. Daß
die Nationalversammlung damals über den Protest hinweggegangen war und den
Versailler Präliminarvertrag und später den Frankfurter Frieden ratifiziert hatte, blieb

34 Bismarck,Werke Bd. 4 (wie Anm. 28), 554 (Tischgespräch, 14. Okt. 1870).
 
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