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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2007 — 2007

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I. Das Geschäftsjahr 2007
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Jahresfeier am 9. Juni 2007
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Wolgast, Eike: Pax optima rerum: Theorie und Praxis des Friedensschlusses in der Neuzeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.66959#0042
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9. Juni 2007 | 55

Gleich in der Präambel der Verträge mit Deutschland, Österreich und Ungarn32
wurde die Kriegsschuld fixiert. Die Entente hatte bereits in ihren Reaktionen auf die
deutsche Friedensnote von Ende Dezember 1916 und auf die Friedensinitiative Wil-
sons von Januar 1917 darauf hingewiesen, daß die Mittelmächte für den Krieg allein-
verantwortlich seien und daß die Alliierten daher zu Recht „Wiedergutmachungen,
Rückerstattungen und Bürgschaften“ verlangen könnten.33 In den Verträgen von
Versailles, St. Germain und Trianon wurde dementsprechend festgehalten, daß der
Krieg durch die Kriegserklärungen Österreich-Ungarns an Serbien und Deutsch-
lands an Rußland und Frankreich sowie durch die deutsche Invasion nach Belgien
verursacht worden war. Die Schlußfolgerungen daraus wurden im Kapitel über die
Reparationen gezogen. Schon die Haager Landkriegsordnung von 1907 hatte fest-
gelegt, daß die Kriegführenden kein unbeschränktes Recht bei der Wahl ihrer Mit-
tel, um den Feind zu schädigen, hätten (Art. 22 der Anlage). Für vertragswidrig
begangene Handlungen bestand Entschädigungspflicht (Art. 3). Darauf ließ sich die
Wiedergutmachung für die Kriegszerstörungen in Frankreich und Belgien abstüt-
zen. Die Vorortverträge verlangten aber darüber hinaus - erstmals in der Geschichte
der Friedensverträge (außer in San Stefano 1878) - eine integrale Entschädigung,
bezogen also auch die indirekten Kriegsschäden (Militärpensionen, Renten für
Kriegsbeschädigte und Hinterbliebene von Gefallenen) ein. Zu diesem Zweck
wurde das Kapitel über die Reparationen mit der rechtlichen Absicherung eingelei-
tet, daß Deutschland (Art. 231) bzw. Österreich (Art. 177) bzw. Ungarn (Art. 161)
mit seinen Verbündeten „als Urheber für alle Verluste und Schäden verantwortlich“
sei, die „die alliierten und assoziierten Regierungen und ihre Staatsangehörigen
infolge des Krieges, der ihnen durch den Angriff Deutschlands (bzw. Österreichs
bzw. Ungarns) und seiner Verbündeten aufgezwungen wurde, erlitten haben“.
Deutschland (bzw. Österreich bzw. Ungarn) mußte diese Feststellung ausdrücklich
anerkennen. Die deutsche Regierung und die Öffentlichkeit faßten die Formulie-
rungen des Artikels 231 jedoch weiter auf als sie ursprünglich gemeint waren und
verstanden sie als juristische Generalanklage und moralische Demütigung; diesen
Sinn übernahmen dann auch die Alliierten. Die zu zahlende Gesamtsumme wurde
- wie in Tilsit 1807 — im Vertrag vorbehalten und sollte erst bis zum 1. Mai 1921
festgesetzt werden.
Die traditionelle Amnestie wurde im Versailler Vertrag durch ihr Gegenteil, die
Strafverfolgung, ersetzt (Art. 227/228). Wilhelm II. sollte wegen „schwerster Verlet-
zung des internationalen Sittengesetzes und der Heiligkeit der Verträge“ vor einem
internationalen Gerichtshof, bestehend aus Richtern der fünf alliierten Hauptmächte

32 Bulgarien und die Türkei wurden entgegenkommender bewertet; über sie wurde lediglich fest-
gestellt, daß sie sich dem Angriffskrieg Deutschlands und Österreich-Ungarns angeschlossen hät-
ten. Zur Kriegsschuldfrage von 1919 vgl.Jöfg Fisch,Vom Gottesurteil zur Polizeiaktion. Die Rolle
der Kriegsschuld im Friedensschluß. In: Otto Krauß (Hg.), „Vae victis!“ Über den Umgang mit
Besiegten, Göttingen 1998, 197-214.
33 Schulthess’ Europäischer Geschichtskalender NF Jg. 32 1916 Teil 2, 262-264; Jg. 33 1917 Teil 2,
377-379.
 
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