21. Juli 2007 | 89
Hatte ich im ersten Teil meiner Darstellung darauf abgehoben, dass physikali-
sche Forschung heute weitgehend autonom und ohne Kontakt zu anderen Wissen-
schaften verläuft, so habe ich den eben beendeten Exkurs deshalb eingeschoben, um
daran zu erinnern, dass das nicht immer so war und vielleicht auch nicht so bleiben
wird. Lassen Sie mich nun kurz auf die Frage nach den Gemeinsamkeiten von
Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften zu sprechen kommen. Ich begebe mich
dabei auf ein Terrain außerhalb der Physik, in dem ich in der Formulierung ungeübt
und in der Sache weniger sicher bin, und bitte dafür um Ihre Nachsicht.
Die gemeinsame Wurzel der europäischen Wissenschaften liegt im Mittelalter.
Ausgehend von dem um 1200 erfolgten Übersetzungen der Werke des Aristoteles,
ging es darum, das, was der Glaube uns lehrt, auch als vernünftig zu erkennen. In der
Auseinandersetzung mit der Theologie grenzte sich die Philosophie als eigene Dis-
ziplin ab. Aus ihr spalteten sich später viele Einzelwissenschaften ab. Nur die Medi-
zin und die Rechtswissenschaften waren älter und eigene Wege gegangen. Für die
Erkenntnis der Natur, also die spätere Naturwissenschaft, wurde schon früh die Hilfe
der Mathematik angemahnt, so vom Franziskanermönch Roger Bacon. Wesentlich
für die Entstehung der modernen Naturwissenschaft aber war es, dass mit dem
Beginn der Neuzeit ein neues, von dem der Griechen völlig verschiedenes Weltbild
entstanden war. Für die Griechen war der Mensch Teil eines sinnlich erfahrbaren,
beseelten Kosmos gewesen. Es lag wohl außerhalb ihrer Vorstellungskraft, dass man
die Welt als Objekt kalt-rationaler Analyse auffassen könnte. Zu Beginn der Neuzeit
dagegen war an die Stelle des beseelten Kosmos die von einem Schöpfergott
gemachte Welt getreten. Der Mensch steht dieser unbeseelten Welt gegenüber. Ihm
ist es gegeben, die Welt zu erkennen, will sagen, sie experimentell auf die Probe zu
stellen und mathematisch zu fassen. Erst durch dieses neue Weltbild konnte es zur
Naturwissenschaft im heutigen Sinne kommen. Ein japanischer Kollege hat das mir
gegenüber einmal so formuliert: Nur wer an einen Schöpfergott glaubt, kann auf die
Idee kommen, nach Naturgesetzen zu suchen. In der Idee der Existenz zeitlich
unveränderlicher, gewissermaßen ewig bestehender Naturgesetze steckt dabei wohl
auch platonisches Denken. Die unveränderlichen Naturgesetze sind die Vorausset-
zung dafür, dass wir die aus dem Weltall zu uns gelangenden Signale als Hinweise auf
ein dynamisch in der Zeit sich entwickelndes kosmisches Geschehen deuten kön-
nen. Das moderne Weltbild ist beides, eine notwendige Voraussetzung für moderne
Naturwissenschaften, aber auch em begrenzender Rahmen, in dem sie sich vollzieht.
Darauf komme ich gleich noch zu sprechen.
Zweifellos ist das moderne Weltbild, die Gegenüberstellung des autonomen
Individuums und der Welt, auch die Basis für Geistes- und Sozialwissenschaften.
Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften haben so eine gemeinsame historische
Wurzel und eine gemeinsame Basis. Methodisch sind die Wissenschaften notwendig
verschieden, aber sie teilen das Verständnis dessen, was wissenschaftliches Arbeiten
heißt: Einbeziehung aller bekannten Fakten, rationales Vorgehen, Klarheit der
Begriffe, saubere Argumentation, logisches Schließen.
Darüber hinaus meine ich, dass die Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften
auch durch ihren historischen Ursprung gemeinsam begrenzt werden. Wir können
Hatte ich im ersten Teil meiner Darstellung darauf abgehoben, dass physikali-
sche Forschung heute weitgehend autonom und ohne Kontakt zu anderen Wissen-
schaften verläuft, so habe ich den eben beendeten Exkurs deshalb eingeschoben, um
daran zu erinnern, dass das nicht immer so war und vielleicht auch nicht so bleiben
wird. Lassen Sie mich nun kurz auf die Frage nach den Gemeinsamkeiten von
Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften zu sprechen kommen. Ich begebe mich
dabei auf ein Terrain außerhalb der Physik, in dem ich in der Formulierung ungeübt
und in der Sache weniger sicher bin, und bitte dafür um Ihre Nachsicht.
Die gemeinsame Wurzel der europäischen Wissenschaften liegt im Mittelalter.
Ausgehend von dem um 1200 erfolgten Übersetzungen der Werke des Aristoteles,
ging es darum, das, was der Glaube uns lehrt, auch als vernünftig zu erkennen. In der
Auseinandersetzung mit der Theologie grenzte sich die Philosophie als eigene Dis-
ziplin ab. Aus ihr spalteten sich später viele Einzelwissenschaften ab. Nur die Medi-
zin und die Rechtswissenschaften waren älter und eigene Wege gegangen. Für die
Erkenntnis der Natur, also die spätere Naturwissenschaft, wurde schon früh die Hilfe
der Mathematik angemahnt, so vom Franziskanermönch Roger Bacon. Wesentlich
für die Entstehung der modernen Naturwissenschaft aber war es, dass mit dem
Beginn der Neuzeit ein neues, von dem der Griechen völlig verschiedenes Weltbild
entstanden war. Für die Griechen war der Mensch Teil eines sinnlich erfahrbaren,
beseelten Kosmos gewesen. Es lag wohl außerhalb ihrer Vorstellungskraft, dass man
die Welt als Objekt kalt-rationaler Analyse auffassen könnte. Zu Beginn der Neuzeit
dagegen war an die Stelle des beseelten Kosmos die von einem Schöpfergott
gemachte Welt getreten. Der Mensch steht dieser unbeseelten Welt gegenüber. Ihm
ist es gegeben, die Welt zu erkennen, will sagen, sie experimentell auf die Probe zu
stellen und mathematisch zu fassen. Erst durch dieses neue Weltbild konnte es zur
Naturwissenschaft im heutigen Sinne kommen. Ein japanischer Kollege hat das mir
gegenüber einmal so formuliert: Nur wer an einen Schöpfergott glaubt, kann auf die
Idee kommen, nach Naturgesetzen zu suchen. In der Idee der Existenz zeitlich
unveränderlicher, gewissermaßen ewig bestehender Naturgesetze steckt dabei wohl
auch platonisches Denken. Die unveränderlichen Naturgesetze sind die Vorausset-
zung dafür, dass wir die aus dem Weltall zu uns gelangenden Signale als Hinweise auf
ein dynamisch in der Zeit sich entwickelndes kosmisches Geschehen deuten kön-
nen. Das moderne Weltbild ist beides, eine notwendige Voraussetzung für moderne
Naturwissenschaften, aber auch em begrenzender Rahmen, in dem sie sich vollzieht.
Darauf komme ich gleich noch zu sprechen.
Zweifellos ist das moderne Weltbild, die Gegenüberstellung des autonomen
Individuums und der Welt, auch die Basis für Geistes- und Sozialwissenschaften.
Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften haben so eine gemeinsame historische
Wurzel und eine gemeinsame Basis. Methodisch sind die Wissenschaften notwendig
verschieden, aber sie teilen das Verständnis dessen, was wissenschaftliches Arbeiten
heißt: Einbeziehung aller bekannten Fakten, rationales Vorgehen, Klarheit der
Begriffe, saubere Argumentation, logisches Schließen.
Darüber hinaus meine ich, dass die Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften
auch durch ihren historischen Ursprung gemeinsam begrenzt werden. Wir können