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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2007 — 2007

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I. Das Geschäftsjahr 2007
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Frank, Manfred: Rüdiger Bubner (9.5.1941-9.2.2007)
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https://doi.org/10.11588/diglit.66959#0169
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182 | NACHRUFE

in der frühen Kritischen Theorie von Horkheimer und Adorno scharf diagnostizier-
te. Zu des Grafen Cieszkowskis Prolegomena zur Historiosophie schrieb er eine erhel-
lende Einleitung.
Zu seinen Klassikern gehörten freilich nicht nur die Philosophen. Er war nach
seiner Promotion für eine kurze Zeit in der Mitte der 60er Jahre Sekretär der Abtei-
lung Literatur der „Westberliner Akademie der Künste“. Dort wirkte er als Kultur-
vermittler, der jenen Kulturmarkt mit organisierte, den er oft scharfsinnig analysiert
und kritisiert hat. Damit ist ein Schwerpunkt seiner Arbeit genannt: die Ästhetik. Er
weitete sie zu einer Kulturanalyse unserer Zeit aus, in der eine alles ergreifende
Ästhetisierung den Ernstfall des Lebens in ein Spiel zu verwandeln scheint, so dass
die Kunst uns wieder mit dem Ernst des Lebens konfrontieren muss. Er fragte, ob
das Vakuum, das Religion und Wissenschaft dort lassen, wo sie nicht mehr Lebens-
orientierung geben oder versprechen, heute durch die Kunst ersetzt wird. Dabei
bezog er sich auf Kant, wenn er der Kunst einen durch Deutung unerschöpfbaren
Sinnreichtum zusprach, in welchem sich, unter Bedingungen vollendeter Auf-
klärung, noch am ehesten em Numinosum vernehmbar macht.
Von Berlin aus ging er zu post-doctoral studies nach Oxford. Zeitlebens war er
auch in der angelsächsischen Sprachphilosophie zu Hause, verband sie aber mit der
Tradition, für die er in der intellektuellen Landschaft Deutschlands steht: mit der her-
meneutischen Philosophie seines Lehrers Hans-Georg Gadamers. Nach seiner
Rückkehr aus Oxford wurde er dessen Assistent in Heidelberg. Dort habilitierte er
sich. An die Heidelberger Universität kehrte er 1996 nach Professuren in Frankfurt
und Tübingen zurück, so dass er auch aufgrund dieser lokalen Bindung als Erbe
Gadamers wahrgenommen wurde.
Gadamers Hermeneutik will uns aufklären über die Tradition, in der wir schon
immer stehen — gleichgültig, wie kritisch oder wie konservativ wir uns zu ihr ver-
halten. Seme Schüler vertreten verschiedene Richtungen. Rüdiger Bubner reprä-
sentiert unter ihnen eine eindeutig konservative Position: Er sah die von ihm gelieb-
te Bildungstradition gefährdet und ging auf kritische Distanz zu dominierenden
Mentahtätsströmungen. Deutlich widersprach er dem Bruch mit den bürgerlichen
Traditionen in der 68er Generation. Die bürgerlichen Lebensformen enthielten für
ihn eine lebensweltlich orientierte Rationalität, von der die Wissenschaften abhän-
gig sind und die mehr sind als Wissenschaft. Sein die hermeneutische Philosophie
weiterführender Beitrag hegt daher vor allem in der Rehabilitierung einer prakti-
schen Philosophie, die nach Rationalität im Leben sucht. In diesem Zusammenhang
entwickelte er seine hermeneutische Handlungstheorie, die nicht primär nach den
Normen des Handelns fragt, sondern nach der Überschneidung von Handlung und
Sprache in Maximen, und auf diese Weise klärt, wie Sprache Handlungen unter-
stützt. Dabei brachte Bubner die genuin deutsche hermeneutische Tradition — viel-
leicht als erster überhaupt — mit der Interpretations- und Handlungstheorie Donald
Davidsons ins Gespräch und trug entscheidend dazu bei, der heimischen Herme-
neutik eine analytische Schärfe einzubilden, die ihr ursprünglich fehlte. Gern be-
tonte er, dass Davidson wie Gadamer mit Doktorarbeiten über Platons Philebos ihre
Karriere begonnen hatten.
 
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