Rüdiger Bubner | 183
Bubners praktische Philosophie hat in Auseinandersetzung mit der politischen
Entwicklung der Bundesrepublik Gestalt gewonnen. Bald nach seiner Habilitation
trat er mit 32 Jahren in Frankfurt seine erste Professur als Nachfolger von Theodor
W. Adorno an. Er lehrte in den bewegten 70er Jahren an einer der unruhigsten Uni-
versitäten Deutschlands. Im Dialog mit Jürgen Habermas bestand er darauf, dass der
„herrschaftsfreie Dialog“ der Wissenschaft und der Philosophie an die Voraussetzung
bürgerlicher Lebensformen gebunden ist und ohne diese ohnmächtig bleibt - darin
Aristoteles vergleichbar, der die Verwirklichung der Einsicht in das Gute an Voraus-
setzungen des Charakters und der Polis band. Habermas ordnete ihn unter die Neo-
Aristoteliker ein. Die politische Philosophie wurde auf jeden Fall neben der Ästhe-
tik die zweite Konkretisierung seiner hermeneutischen Philosophie. 1979 wechselte
Rüdiger Bubner in das ruhigere Tübingen, wo er sechzehnJahre lang lehrte. 1996
folgte er einem Ruf nach Heidelberg. Er griff noch einmal das Thema der politi-
schen Philosophie auf — angeregt durch die Wende von 1989 und den Zusammen-
bruch des ,real existierenden’ Kommunismus. Spürbar ist, dass er sich durch die Zeit-
ereignisse in seiner Position bestätigt fühlte. In Auseinandersetzung mit klassischen
und modernen Theorien des Kontraktualismus sah er nun in Hegels Konzept des
sittlichen Staates den Schlüssel für eine politische Philosophie.
Philosophie bestand für ihn in einer systematischen Dauerreflexion, die das
Leben in zwei Richtungen führt: zum einen in eine Distanzierung vom unmittelba-
ren Lebensvollzug und zum anderen in eine Freiheit ihm gegenüber. Er konnte diese
Richtungen mit zwei existenziellen Aufgaben der Philosophie verbinden: sterben
lernen und freier leben lernen. Beide Ziele verband er auch mit den Maximen der
Humboldt’schen Universität: Philosophie geschieht in Distanzierung und „Einsam-
keit“, zielt aber auf eine dadurch erneuerte „Freiheit“ zum Leben. Diese Einsicht
entsprach einem tief verwurzelten persönlichen Habitus, der einerseits Abstand,
andererseits die Form wahrte. Dieser Zug brachte ihm von seinen Bewunderern das
Prädikat eines „letzten Grandseigneurs“ ein, wurde aber von anderen als markanter
Anachronismus erlebt. Bubner war ein hochgewachsener schlanker Mann, stets ele-
gant gekleidet, überhaupt ein magister elegantissimus, sprachlich gepflegt, ja gewählt
sich ausdrückend. Eigentlich entsprach er eher dem Bild eines intellektuellen briti-
schen Gentleman — das war übrigens ein Zug, den er in der Totenrede auf seinen
Tübinger Kollegen Klaus Hartmann mit spürbarem Respekt heraushob — als einem
typischen deutschen Philosophie-Professsor. Ihn umgab ein Flair abweisender
Distanz und Kühle. Sein Witz, gepaart mit einer schwer parierbaren, manchmal
schneidenden Schlagfertigkeit, war gefürchtet, nicht nur bei Gesprächspartnern,
denen er seine Superiorität zu spüren geben wollte, sondern auch und besonders bei
Studierenden, die in seinen Lehrveranstaltungen nicht nur wegen der Schwierigkeit
von Texten oder Diskussionen ms Schwitzen kamen. Diesem Zug korrespondierte
freilich ein Humor, der treffend charakterisierte eigene Schwächen bereitwillig aner-
kannte — und bei politischem, zumal universitätspolitischem Dissens war er souve-
rän, nicht nachtragend. Ja es gelang ihm, die Position eines fairen Widersachers, war
sie erfolgreich, als diplomatische Leistung zu würdigen. Zumal seine Frankfurter und
Tübinger Kollegen wissen einiges davon.
Bubners praktische Philosophie hat in Auseinandersetzung mit der politischen
Entwicklung der Bundesrepublik Gestalt gewonnen. Bald nach seiner Habilitation
trat er mit 32 Jahren in Frankfurt seine erste Professur als Nachfolger von Theodor
W. Adorno an. Er lehrte in den bewegten 70er Jahren an einer der unruhigsten Uni-
versitäten Deutschlands. Im Dialog mit Jürgen Habermas bestand er darauf, dass der
„herrschaftsfreie Dialog“ der Wissenschaft und der Philosophie an die Voraussetzung
bürgerlicher Lebensformen gebunden ist und ohne diese ohnmächtig bleibt - darin
Aristoteles vergleichbar, der die Verwirklichung der Einsicht in das Gute an Voraus-
setzungen des Charakters und der Polis band. Habermas ordnete ihn unter die Neo-
Aristoteliker ein. Die politische Philosophie wurde auf jeden Fall neben der Ästhe-
tik die zweite Konkretisierung seiner hermeneutischen Philosophie. 1979 wechselte
Rüdiger Bubner in das ruhigere Tübingen, wo er sechzehnJahre lang lehrte. 1996
folgte er einem Ruf nach Heidelberg. Er griff noch einmal das Thema der politi-
schen Philosophie auf — angeregt durch die Wende von 1989 und den Zusammen-
bruch des ,real existierenden’ Kommunismus. Spürbar ist, dass er sich durch die Zeit-
ereignisse in seiner Position bestätigt fühlte. In Auseinandersetzung mit klassischen
und modernen Theorien des Kontraktualismus sah er nun in Hegels Konzept des
sittlichen Staates den Schlüssel für eine politische Philosophie.
Philosophie bestand für ihn in einer systematischen Dauerreflexion, die das
Leben in zwei Richtungen führt: zum einen in eine Distanzierung vom unmittelba-
ren Lebensvollzug und zum anderen in eine Freiheit ihm gegenüber. Er konnte diese
Richtungen mit zwei existenziellen Aufgaben der Philosophie verbinden: sterben
lernen und freier leben lernen. Beide Ziele verband er auch mit den Maximen der
Humboldt’schen Universität: Philosophie geschieht in Distanzierung und „Einsam-
keit“, zielt aber auf eine dadurch erneuerte „Freiheit“ zum Leben. Diese Einsicht
entsprach einem tief verwurzelten persönlichen Habitus, der einerseits Abstand,
andererseits die Form wahrte. Dieser Zug brachte ihm von seinen Bewunderern das
Prädikat eines „letzten Grandseigneurs“ ein, wurde aber von anderen als markanter
Anachronismus erlebt. Bubner war ein hochgewachsener schlanker Mann, stets ele-
gant gekleidet, überhaupt ein magister elegantissimus, sprachlich gepflegt, ja gewählt
sich ausdrückend. Eigentlich entsprach er eher dem Bild eines intellektuellen briti-
schen Gentleman — das war übrigens ein Zug, den er in der Totenrede auf seinen
Tübinger Kollegen Klaus Hartmann mit spürbarem Respekt heraushob — als einem
typischen deutschen Philosophie-Professsor. Ihn umgab ein Flair abweisender
Distanz und Kühle. Sein Witz, gepaart mit einer schwer parierbaren, manchmal
schneidenden Schlagfertigkeit, war gefürchtet, nicht nur bei Gesprächspartnern,
denen er seine Superiorität zu spüren geben wollte, sondern auch und besonders bei
Studierenden, die in seinen Lehrveranstaltungen nicht nur wegen der Schwierigkeit
von Texten oder Diskussionen ms Schwitzen kamen. Diesem Zug korrespondierte
freilich ein Humor, der treffend charakterisierte eigene Schwächen bereitwillig aner-
kannte — und bei politischem, zumal universitätspolitischem Dissens war er souve-
rän, nicht nachtragend. Ja es gelang ihm, die Position eines fairen Widersachers, war
sie erfolgreich, als diplomatische Leistung zu würdigen. Zumal seine Frankfurter und
Tübinger Kollegen wissen einiges davon.