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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2010 — 2011

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I. Das Geschäftsjahr 2010
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von Bose, Herbert: Jahresfeier am 5. Juni 2010
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Sellin, Volker: Volker Sellin hält den Festvortrag: „Herrscher und Helden“
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https://doi.org/10.11588/diglit.55658#0037
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5. Juni 2010

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Ostpreußen sein, sonst wird das wieder nur als Tat von Hindenburg angesehen“20.
Schon bald sah der Kaiser jedoch ein, daß es klüger sei, Einigkeit mit dem Volkshel-
den zu demonstrieren. Im Konflikt zwischen seiner dynastischen Legitimität und der
charismatischen Autorität Hindenburgs versprach er sich unter dem Druck des Krie-
ges nur dadurch eine Chance zur Selbstbehauptung, daß er einen Weg fand, an der
Reputation des Generalfeldmarschalls zu partizipieren. Im August 1916 wies die
Neue Preußische Kreuzzeitung aus naheliegenden Gründen jeden Verdacht zurück,
als könne „das Ansehen“ des Kaisers „unter den Taten und der Größe, unter der
Beliebtheit und dem Ruhme eines Heerführers leiden“. Das gehöre „in Preußen
und in Deutschland zu den Dingen, die einfach unmöglich“ seien. Und ganz im
Geiste des dynastischen Fürstenstaats fuhr die Zeitung fort: „Was immer auch die
größten Staatsmänner und Feldherrn im Dienste ihres Herrschers geleistet haben,
hat bei uns der Königskrone stets nur neue Edelsteine hinzugefugt und hat die Liebe
und Verehrung zu dem Herrscher, der jene Männer berufen hat, nur vertiefen kön-
nen“21. Nach Montesquieu hatte die alteuropäische Monarchie ihre Kraft und ihren
Glanz dadurch aufrechterhalten, daß jeder Untertan danach strebte, sich im Dienste
des Königs vor allen anderen Untertanen auszuzeichnen. In solchem Geiste diente
König Friedrich Wilhelm III. Prinz Louis Ferdinand von Preußen, Neffe Friedrichs
des Großen und Komponist des Klaviertrios, das wir heute hören. Für seinen König
fiel der Prinz im Kampf gegen Napoleon im Alter von nur vierunddreißig Jahren am
10. Oktober 1806 bei Saalfeld in Thüringen.
Gegen die Gefahr, vom Glanz eines charismatischen Kriegshelden überstrahlt
zu werden, war em Herrscher offenbar nur dort gefeit, wo die politische Entschei-
dungsmacht auf em Parlament übergegangen war. Das zeigte sich an der Wirkungs-
losigkeit von Garibaldis Charisma von dem Augenblick an, als der italienische Natio-
nalstaat als parlamentarischer Verfassungsstaat ms Leben getreten war. Auch der
Bezwinger Napoleons, der Herzog von Wellington, wurde in seiner Heimat als
nationaler Held gefeiert22. Aber seine Popularität brachte ihn nicht in Konflikt mit
dem König. Das Parlament hatte Verfahren entwickelt, um auch einen Wellington in
die politische Führungsschicht des Landes zu integrieren. Nach der Schlacht von
Talavera in Spanien im Juli 1809 erhielt der bisherige Sir Arthur Wellesley unter dem
Titel eines Viscount von Talavera und Wellington einen Sitz im House of Lords.
Im Mai 1814 wurde ihm die Herzogswürde verliehen. 1818 wurde er Mitglied
des Kabinetts Liverpool. Zehn Jahre später wurde er selbst zum Premierminister
berufen. Auch der Kriegsheld hatte sich innerhalb der politischen Elite und im
Parlament durchsetzen müssen, um in das höchste Staatsamt zu gelangen. Die Auto-
rität des Herrschers aber hatte er auf diesem Weg zu keinem Zeitpunkt erschüttern
können.

20 Görlitz, Regierte der Kaiser?, 15.2.1915, S. 90.
21 Zit. nach: Hoegen, Jesko von, Der Held von Tannenberg. Genese und Funktion des Hindenburg-
Mythos, Köln/Weimar/Wien 2007, S. 186f.
22 Zu Wellington vgl. die zweibändige Biographie von: Longford, Elizabeth, Wellington. The Years of
the Sword, London 1969, und: Wellington. Pillar of State, London 1972.
 
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