54 | JAHRESFEIER
In der Sage erweist ein Mann sich als Held durch die Tat. Herakles erwürgte
den nemeischen Löwen, Siegfried besiegte den Lindwurm. Der Held bleibt Held,
auch wenn er scheitert wie Schillers Taucher bei seinem zweiten Versuch. Der cha-
rismatische Held dagegen bleibt nur Held, solange er erfolgreich ist. Zum Volkshel-
den wird er dadurch, daß er im Dienste eines gemeinschaftlichen Zwecks handelt.
Garibaldi, Skobelev und Hindenburg wurden als charismatische Volkshelden gefei-
ert, weil sie für nationale Retter gehalten wurden. Sie wurden Helden durch
Zuschreibung. Dabei war im Zweifel der Schein wichtiger als die Wirklichkeit.
Nicht als erfahrener Stratege, sondern wegen seines Phlegmas war Hindenburg in
eine Position gelangt, die ihm die Gelegenheit bot, als charismatischer Kriegsheld zu
erscheinen. Alle drei Führer waren sich dessen bewußt, daß der populäre Held im
Zeitalter der Massen vor allem ein Produkt medialer Vermittlung ist. Nach dem
Scheitern der römischen Revolution im Sommer 1849 legte Garibaldi mit seinen
Memoiren selbst den Grundstein zu seinem Mythos23. Zur Zeit der Eroberung des
Südens signierte er ungezählte Porträtpostkarten24 *. Während des russisch-türkischen
Krieges gaben sich die Korrespondenten der nationalen und internationalen Presse
in Skobelevs Quartier die Klinke in die Hand. Photographien in heldischer Pose
hatte der General selbst mitgebracht23. Hindenburg bevorzugte die Malerei. Am
meisten schätzte er die Porträts, die Hugo Vogel von ihm anfertigte. Im März 1915
erhob er Vogel zu seinem „Hof- und Leibmaler“, obwohl er gar keinen Hof unter-
hielt26.
Das Auftreten charismatischer Helden konnte in Erbmonarchien, in denen
der Herrscher die Regierungsgewalt noch weitgehend selbst ausübte, gravierende
Legitimationsdefizite zum Vorschein bringen. Solange diese Defizite nicht nach eng-
lischem Muster durch Parlamentarisierung ausgeglichen wurden, blieb offenbar nur
der erstmals von Cavour gewiesene Ausweg: Der Herrscher mußte selbst für einen
Helden gehalten werden. Als Wilhelm II. im Juni 1888 den Thron bestieg, ließ er
sich sogleich zum Retter stilisieren vor den beiden Hauptgefahren, die dem Reich
angeblich drohten, vor Parlamentarisierung und Demokratisierung. John Röhl hat
diesen Vorgang als „Charismatisierung des Kaisertums“ bezeichnet27. Es war nichts
anderes als der Versuch, einer Demokratisierung der Monarchie durch die Heroisie-
rung des Monarchen entgegenzuwirken. Das Bemühen Wilhelms II., die dynasti-
sche Legitimität des Hauses Hohenzollern charismatisch zu überhöhen, zeigt sich
23 Vgl. Riall, Garibaldi, S. 157: „Garibaldis memoirs were an essential aspect of his self-fashioning
as a nationalist hero after the events of 1848—9; they were a move to assert himself within the
broader Risorgimento myth, and an attempt to establish himself as the symbol of the Italy which
he was dedicated to ‘resurrecting’.”
24 Ragazzi, Franco, Garibaldi e i garibaldini fra raffigurazione colta ed epica popolare, in: idem (a cura
di), Garibaldi nell’immaginario popolare, Genova 2007, S. 36.
23 Aqgtyr, Skobelev Phenomenon, S. 73f.
26 Zit. nach: Pyta, Hindenburg, S. 123.
27 Röhl, John C. G., Wilhelm II. Der Aufbau der Persönlichen Monarchie 1888-1900, München
2001, S. 31-37.
In der Sage erweist ein Mann sich als Held durch die Tat. Herakles erwürgte
den nemeischen Löwen, Siegfried besiegte den Lindwurm. Der Held bleibt Held,
auch wenn er scheitert wie Schillers Taucher bei seinem zweiten Versuch. Der cha-
rismatische Held dagegen bleibt nur Held, solange er erfolgreich ist. Zum Volkshel-
den wird er dadurch, daß er im Dienste eines gemeinschaftlichen Zwecks handelt.
Garibaldi, Skobelev und Hindenburg wurden als charismatische Volkshelden gefei-
ert, weil sie für nationale Retter gehalten wurden. Sie wurden Helden durch
Zuschreibung. Dabei war im Zweifel der Schein wichtiger als die Wirklichkeit.
Nicht als erfahrener Stratege, sondern wegen seines Phlegmas war Hindenburg in
eine Position gelangt, die ihm die Gelegenheit bot, als charismatischer Kriegsheld zu
erscheinen. Alle drei Führer waren sich dessen bewußt, daß der populäre Held im
Zeitalter der Massen vor allem ein Produkt medialer Vermittlung ist. Nach dem
Scheitern der römischen Revolution im Sommer 1849 legte Garibaldi mit seinen
Memoiren selbst den Grundstein zu seinem Mythos23. Zur Zeit der Eroberung des
Südens signierte er ungezählte Porträtpostkarten24 *. Während des russisch-türkischen
Krieges gaben sich die Korrespondenten der nationalen und internationalen Presse
in Skobelevs Quartier die Klinke in die Hand. Photographien in heldischer Pose
hatte der General selbst mitgebracht23. Hindenburg bevorzugte die Malerei. Am
meisten schätzte er die Porträts, die Hugo Vogel von ihm anfertigte. Im März 1915
erhob er Vogel zu seinem „Hof- und Leibmaler“, obwohl er gar keinen Hof unter-
hielt26.
Das Auftreten charismatischer Helden konnte in Erbmonarchien, in denen
der Herrscher die Regierungsgewalt noch weitgehend selbst ausübte, gravierende
Legitimationsdefizite zum Vorschein bringen. Solange diese Defizite nicht nach eng-
lischem Muster durch Parlamentarisierung ausgeglichen wurden, blieb offenbar nur
der erstmals von Cavour gewiesene Ausweg: Der Herrscher mußte selbst für einen
Helden gehalten werden. Als Wilhelm II. im Juni 1888 den Thron bestieg, ließ er
sich sogleich zum Retter stilisieren vor den beiden Hauptgefahren, die dem Reich
angeblich drohten, vor Parlamentarisierung und Demokratisierung. John Röhl hat
diesen Vorgang als „Charismatisierung des Kaisertums“ bezeichnet27. Es war nichts
anderes als der Versuch, einer Demokratisierung der Monarchie durch die Heroisie-
rung des Monarchen entgegenzuwirken. Das Bemühen Wilhelms II., die dynasti-
sche Legitimität des Hauses Hohenzollern charismatisch zu überhöhen, zeigt sich
23 Vgl. Riall, Garibaldi, S. 157: „Garibaldis memoirs were an essential aspect of his self-fashioning
as a nationalist hero after the events of 1848—9; they were a move to assert himself within the
broader Risorgimento myth, and an attempt to establish himself as the symbol of the Italy which
he was dedicated to ‘resurrecting’.”
24 Ragazzi, Franco, Garibaldi e i garibaldini fra raffigurazione colta ed epica popolare, in: idem (a cura
di), Garibaldi nell’immaginario popolare, Genova 2007, S. 36.
23 Aqgtyr, Skobelev Phenomenon, S. 73f.
26 Zit. nach: Pyta, Hindenburg, S. 123.
27 Röhl, John C. G., Wilhelm II. Der Aufbau der Persönlichen Monarchie 1888-1900, München
2001, S. 31-37.