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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2010 — 2011

DOI Kapitel:
I. Das Geschäftsjahr 2010
DOI Kapitel:
von Bose, Herbert: Jahresfeier am 5. Juni 2010
DOI Artikel:
Sellin, Volker: Volker Sellin hält den Festvortrag: „Herrscher und Helden“
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55658#0030
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46 | JAHRESFEIER

VOLKER SELLIN HÄLT DEN FESTVORTRAG:
„HERRSCHER UND HELDEN"

Helden hat es zu allen Zeiten gegeben. Der Typus, von dem heute die Rede sein soll,
ist jedoch erst in der Epoche des Nationalstaats aufgetreten. Es ist der Typus des cha-
rismatischen Kriegshelden, der die Nation in der Krise eint, rettet und verteidigt. In
Monarchien oblagen Führung und Verteidigung der Nation grundsätzlich dem
Herrscher. Die Popularität eines Kriegshelden mußte daher unweigerlich Konflikte
heraufbeschwören, es sei denn, der Monarch hatte die effektive Regierungsgewalt an
em Parlament abgetreten. Drei solcher Konflikte sollen im folgenden vergleichend
vorgestellt werden: der Konflikt zwischen König Viktor Emanuel II. von Sardinien
und dem Freischärler Giuseppe Garibaldi, der Konflikt zwischen Zar Alexander III.
und General Michail Dmitrievic Skobelev und der Konflikt zwischen Kaiser Wil-
helm II. und Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg. Der Vergleich von drei
Fällen aus drei ganz unterschiedlich verfaßten Staaten und in je verschiedenen poli-
tischen Konstellationen soll zeigen, daß es sich nicht bloß um zufällige Gegensätze
zwischen Individuen, sondern um einen strukturellen Konflikt zwischen Herrschern
und Helden handelte.
Seit dem Wiener Kongreß besaß Österreich in Italien eine hegemoniale Stel-
lung, wesentlich gestützt auf die unmittelbare Herrschaft des Hauses Habsburg über
die Lombardei und Venetien. Das Königreich Sardinien strebte danach, die italieni-
schen Staaten politisch zu einigen, war aber zu schwach, um dieses Ziel ohne fremde
Hilfe zu erreichen. Mit französischer Unterstützung wurde Österreich im Krieg von
1859 zur Abtretung der Lombardei gezwungen. Gleichzeitig erhoben sich die Bür-
ger der Toskana, der Herzogtümer Parma und Modena sowie der zum Kirchenstaat
gehörenden Legationen und verlangten ebenfalls die Vereinigung mit dem König-
reich Sardinien. Zur Vollendung des italienischen Nationalstaats fehlten im Frühjahr
1860 also noch Venetien, der von Frankreich garantierte Kirchenstaat und das König-
reich beider Sizilien. Napoleon III. war nicht bereit, die italienische Einigung über
das Erreichte hinaus weiterhin zu unterstützen. Ohne die Hilfe Frankreichs konnte
das Königreich Sardinien der HabsburgermonarchieVenetien aber nicht entreißen,
und gegen den Widerstand Frankreichs konnte es den Kirchenstaat nicht annektie-
ren. Einzig das Königreich beider Sizilien genoß nicht den besonderen Schutz einer
Großmacht. Es stand jedoch unter der Garantie des europäischen Konzerts, das es
einem souveränen Staat nicht gestattete, einen anderen souveränen Staat unprovo-
ziert mit Krieg zu überziehen.
Der Weg zur nationalen Einheit Italiens schien versperrt. Da ergriff ein Mann
die Initiative, der sich längst den Ruf eines charismatischen Volkshelden erworben
hatte: Giuseppe Garibaldi aus Nizza1. Wegen Beteiligung an einem Aufstandsver-

1 Unter den neueren Biographien Garibaldis ragen heraus: Scirocco, Alfonso, Garibaldi. Battaglie,
amori, ideali di un cittadino del mondo, Bari 2001, und Riall, Lucy, Garibaldi. Invention of a
Hero, New Haven and London 2007.
 
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