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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2010 — 2011

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I. Das Geschäftsjahr 2010
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Mitarbeitervortragsreihe "Wir forschen. Für Sie"
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Sommer, Andreas Urs: Nietzsche kommentieren. Perspektiven und Probleme
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Haidle, Miriam N.: „Macht Euch die Erde untertan“: Tierisches und menschliches Werkzeugverhalten
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https://doi.org/10.11588/diglit.55658#0150
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VERANSTALTUNGEN

unmittelbar auf unsere Lebenswelt übertragbar ist. So wird jene Kanonisierung rela-
tiviert, die der Kommentararbeit zugrunde liegt: Erst, was in einer Kultur einen
kanonischen Rang erlangt hat, verlangt eine skrupulöse Kommentierung. Insofern
zählen Nietzsches Werke zum Kanon der europäischen Kultur.
Entfremdung, Distanzierung und Relativierung müssen freilich nicht letzte
Worte, endgültiges Resultat der Kommentierung bleiben. Mit der Kommentierung
geht im Idealfall eine Revitalisierung des Textes einher: Er wird gereinigt von einer
ihn als Proklamation zeitloser Wahrheiten vereinnahmenden Rezeption, damit wird
er nicht nur in seinem Entstehungskontext transparent(er). Vielmehr darf man
zugleich fragen, wie weit der Text ausserhalb seines Entstehungskontextes noch etwas
bedeuten kann — etwa in den Kontexten unseres eigenen Denkens. Und da ist es
möglich, dass Nietzsche uns doch noch eine ganze Menge zu sagen hat. Man könn-
te, will man wieder ein k-Wort, es also so formulieren: Der Kommentar kann Perspek-
tiven der Konjunktion aufzeigen. „Konjugieren“ — im Wortsinn „zusammenbinden“ —
bedeutet dann, Verbindungen herzustellen mit noch nicht Verbundenem, also bei-
spielsweise aufzuzeigen, wie em spezifischer Gedanke Nietzsches Karriere gemacht
hat oder noch Karriere machen könnte,,anschlussfähig1 blieb oder es neu geworden
ist. „Konjugieren“ kann auch bedeuten, dass ein spezifischer Gedanke mit verschie-
denen Personen, Zeiten und Modi „zusammengebunden“ wird, dass man also einen
solchen Gedanken in unterschiedlichsten Kontexten durchspielt, die nicht seine Ent-
stehungskontexte sind. Das wiederum wäre eine exemplarische Validitätsprüfung die-
ses Gedankens selbst. Der Nietzsche-Kommentar selbst wird solche Validitätsprüfun-
gen, überhaupt Konjunktionen kaum oder doch höchstens ganz am Rande leisten,
aber er kann Mittel bereitstellen, künftige Interpreten zu solchen Konjugationslei-
stungen zu inspirieren. Kurzum: Die Entfremdung vom Text, die die Kontextualisie-
rung mit sich bringt, könnte zu einer neuen Entdeckung des Textes und seiner
Gedanken fuhren. Der Kommentar hat seinen Zweck dann erfüllt, wenn er zu neuer
Konzentration auf das Kommentierte einlädt und anhält.
10.Juni 2010
MIRIAM NOEL HAIDLE
„Macht Euch die Erde untertan“: Tierisches und menschliches Werkzeugverhalten
Bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhundert wurde Werkzeugverhalten regelmäßig als
typisch menschliche Fähigkeit benannt. Aber in wie weit ist sie das wirklich? Bereits
1714 beschrieb Daniel Beeckman, Kapitän der English East India Company, Werk-
zeugverhalten bei Orang-Utans. Den großen Naturforschern des 19. Jahrhunderts
war der Werkzeuggebrauch bei Menschenaffen durchaus bekannt: Alfred Wallace
wiederholte die Beobachtungen an Orang-Utans, und Charles Darwin erwähnt in
seinem Werk „The descent of man, and selection in relation to sex“ Werkzeugver-
halten bei Schimpansen. Das Werkzeugverhalten bei Tieren stellt sich zu Beginn des
21. Jahrhunderts sehr vielfältig dar: Sandwespen verdichten den Verschluss ihrer Brut-
höhlen mit Hilfe von Steinen; Schmutzgeier schlagen mit Steinen Straußeneier auf;
 
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