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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2010 — 2011

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I. Das Geschäftsjahr 2010
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Wissenschaftliche Sitzungen
DOI Kapitel:
Gesamtsitzung am 24. Juli 2010
DOI Artikel:
Reinkowski, Maurus: Das Mittelmeer und die islamische Welt
DOI Kapitel:
Sitzung der Phil.-hist. Klasse am 29. Oktober 2010
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https://doi.org/10.11588/diglit.55658#0108
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124

SITZUNGEN

tiger Migrations- und Minderheitenprobleme. Heutige Apologeten des islamischen
Minderheitenrechts mystifizieren zwar das eben erwähnte islamische Rechtsinstitut
der Schutzbefohlenheit der Nicht-Muslime als eine Art contrat social avant la lettre
und wollen es als Leitbild auf die Gegenwart übertragen wissen. Man sollte und
könnte, so lautet die Argumentation, sich em Beispiel nehmen am islamischen
Toleranzkapital. So habe es die Liberalität des Osmanischen Reiches es den „Sub-
kulturen“ erlaubt, bis zum Ende der osmanischen Herrschaft ihre Identität und somit
auch ihre Eigenarten zu bewahren, die als Grundlage für die neuen Nationalstaaten
dienten.
Dieses Argument hat wenig Substanz: Die traditionelle islamische Toleranz
gegenüber anderen religiösen Gruppen ist von gänzlich anderer Beschaffenheit als
die menschenrechtlich begründete, auf individuelle Gleichberechtigungsansprüche
gegründete Religionsfreiheit. Für Menschen mit komplexen und wechselnden
Loyalitäten und insbesondere für Menschen, die sich keiner bestimmten Religions-
gemeinschaft zugehörig fühlen, lässt dieses Modell, und erst recht nicht in seinen
heutigen „modernen“ Lesarten, keinen Raum.
Was bleibt vom historischen Ineinandergreifen islamischer und christlicher
Welten im Mittelmeerraum und der Erfahrung der Konvivialität? Es ist offensicht-
lich, dass Systeme eines funktionierenden Zusammenlebens zwischen heterogenen
sozio-konfessionellen Gruppen lange Zeiträume benötigen, um sich zu stabilisieren.
Wir können uns aber nicht mit dem falschen Trost zufrieden geben, dass wir nur
lange genug abwarten müssten und dann würde sich schon zu unser aller Zufrie-
denheit em selbststabilisierendes Equilibnum zwischen Muslimen und Nicht-Mus-
limen in den europäischen Gesellschaften ergeben.
Die vergangene Geschichte von Miteinanderleben, Nebeneinanderleben und
Gegeneinanderleben bereichert und relativiert unser Verständnis menschlicher
Koexistenz, aber mehr kann sie nicht leisten. Wenn vergangene Geschichte für heu-
tige Verhältnisse nicht massgebend sein kann, so haben wir aber auch das Recht und
sogar die Pflicht, die positive Seite dieses Mangels herauszuheben: Die europäischen
Gesellschaften stehen vor der Ungewissheit, aber auch vor der Freiheit, selbst zu ent-
scheiden, welche Wege sie in Zukunft gehen sollen.

Sitzung der Phil.-hist. Klasse am 29. Oktober 2010
GESCHÄFTSSITZUNG
1. Endgültige Festsetzung der Tagesordnung
Die Anwesenden stimmen zu, unter 6.1 eine Wahl zu einer Kommission durchzu-
führen.
 
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