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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2010 — 2011

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I. Das Geschäftsjahr 2010
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Sitzung der Phil.-hist. Klasse am 16. April 20
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Koch, Peter: In der Werkstatt des Wortschatzes
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https://doi.org/10.11588/diglit.55658#0074
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SITZUNGEN

WISSENSCHAFTLICHE SITZUNG
HERR PETER KOCH HÄLT EINEN VORTRAG:
„In der Werkstatt des Wortschatzes.“
Wie sich der Wortschatz einer Sprache in der‘Diachronie’ über lange Zeiträume hin-
weg verändern kann, das ist in besonders eindrucksvoller Weise im Verhältnis zwi-
schen dem (klassischen) Latem und seinen romanischen Tochtersprachen dokumen-
tiert. Bestimmte klassisch-lateinische Wörter haben sich — vom unvermeidlichen
Lautwandel einmal abgesehen — über zwei Jahrtausende hinweg bis heute in allen
romanischen Sprachen erhalten (1), andere sind völlig untergegangen (4). Zwischen
diesen beiden Extremen stehen lateinische Wörter, die nur in einem (allerdings nicht
unerheblichen) Teil der romanischen Sprachen (2) oder sogar nur in sehr wenigen
von ihnen (3) fortgeführt werden.
(1) klass.-lat. caelum HIMMEL > rum. cer, ital. cielo, sard. chelu, rätorom. tschel, franz.
ciel, okz. cel, kat. cel, span, cielo, port. ceu
(2) klass.-lat. caput KOPF > rum. cap, ital. capo (nur regional), rätorom. cheu, okz.
cap, kat. cap
(3) klass.-lat. scire WISSEN > rum. sti, sard. ischire/sciri
(4) klass.-lat. Tgnis feuer > —
Bezüglich der 1000 häufigsten klassisch-lateinischen Wörter ergibt sich innerhalb
der romanischen Sprachen eine Staffelung nach dem Kriterium des „Konservatis-
mus“: Italienisch — Portugiesisch — Okzitanisch — Katalanisch — Spanisch — Rätoro-
manisch - Sardisch — Französisch - Rumänisch. Dabei hat selbst das besonders kon-
servative (toskanischbasierte) Italienisch mehr als die Hälfte dieses Wortbestandes
erneuert, die besonders „innovativen“ Sprachen Rumänisch und Französisch sogar
rund drei Viertel.
Nun haben Wörter, als sprachliche Zeichen, eine Ausdrucksseite und eine
‘Bedeutung’. Nachdem im Vorhergehenden die Ausdrucksseite im Vordergrund
stand, ist zunächst einmal zu bedenken, dass unter Umständen zwar die Ausdrucks-
seite eines Wortes, sei es in allen romanischen Sprachen (5), sei es nur in einem Teil
von ihnen (6) erhalten bleiben, dabei aber überall ein ‘Bedeutungswandel’ eintreten
kann (in beiden Beispielen liegt eine Metonymie vor).
(5) klass.-lat. focus HERD > rum. foc, ital./woco, sard. fogu, rätorom. fau, franz, feu,
okz. foc, kat. foc, span, fuego, port. fogo — in allen romanischen Sprachen feuer
(6) klass.-lat. sapere VERSTÄNDIG SEIN > ital. sapere, rätorom. savair, franz, savoir,
okz. saber, kat. saber, span, saber, port. saber — in allen betroffenen romanischen
Sprachen WISSEN
Des Weiteren ist zu betonen, dass wir zum Ausgangspunkt unserer Betrachtung kei-
neswegs nur den lexikalischen Ausdruck (‘semasiologische’ Perspektive), sondern
auch die Bedeutung machen können (‘onomasiologische’ Perspektive), wobei
‘Bedeutung’ am besten im Sinne von ‘Konzepten’ unseres Denkens zu fassen ist (auf
deren Status weiter unten zurückzukommen sein wird): Mit welchem Wort ‘bezeich-
 
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