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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2010 — 2011

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I. Das Geschäftsjahr 2010
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von Bose, Herbert: Jahresfeier am 5. Juni 2010
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Sellin, Volker: Volker Sellin hält den Festvortrag: „Herrscher und Helden“
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https://doi.org/10.11588/diglit.55658#0031
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5. Juni 2010

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such Giuseppe Mazzinis 1834 in Abwesenheit zum Tode verurteilt, war Garibaldi
1835 nach Südamerika geflohen und hatte sich dort als Freiheitskämpfer zuerst in
Brasilien und dann am Rio della Plata ausgezeichnet. Nach Ausbruch der Revolu-
tion war er 1848 nach Italien zurückgekehrt. Im folgenden Jahr verteidigte er die
römische Republik gegen die französische Interventionsarmee unter General
Oudinot.
Am 6. Mai 1860 schiffte sich Garibaldi mit Duldung des sardinischen Mini-
sterpräsidenten Camillo di Cavour in Quarto bei Genua mit eintausend Freischär-
lern auf zwei gekaperten Schiffen em, um mit Unterstützung örtlicher Mitstreiter
zuerst Sizilien und danach den festländischen Teil des Königreichs Neapel zu
erobern, eines Königreichs mit neun Millionen Einwohnern und einem stehenden
Heer von 50.000 Mann. Am 11. Mai landete die Truppe in Marsala. Am 27. Mai
nahm Garibaldi die sizilische Hauptstadt Palermo em. Unterdessen strömten
Scharen von weiteren freiwilligen Kämpfern herbei. Privatleute sammelten Geld
für Waffen, Munition und Verpflegung. Am 19. August setzte Garibaldi über die
Meerenge von Messina und rückte in Kalabrien ein. Am 7. September wurde er
in Neapel von der Menge gefeiert. Anfang Oktober schlug er das Heer des Königs
Francesco II. kriegsentscheidend amVolturno.
Diese Erfolge lösten in ganz Italien Begeisterungsstürme aus. Garibaldi
begnügte sich jedoch nicht mit der militärischen Niederwerfung des Gegners.
Vielmehr übernahm er schon wenige Tage nach seiner Ankunft in Sizilien unter
dem Titel eines Diktators provisorisch die gesamte zivile Autorität in den erober-
ten Gebieten. Obwohl er seinen Kriegszug von Anfang an unter das Motto —
Italia e Vittorio Emanuele („Italien und Viktor Emanuel“) - gestellt und damit seine
Entschlossenheit bekundet hatte, die eroberten Gebiete künftig dem König von
Sardinien zu übergeben, verfolgte Cavour die Unternehmung von Turm aus mit
wachsender Besorgnis. Garibaldi entzog sich zunehmend jeder politischen
Kontrolle. Der sardinische Ministerpräsident fürchtete vor allem, der Volksfuhrer
mache seine mehrfach geäußerte Absicht wahr, nach Neapel auch den Kirchenstaat
und Venetien für den italienischen Nationalstaat zu erobern. Hatte schon sein
Eindringen in das Königreich beider Sizilien scharfe Proteste der Großmächte
hervorgerufen, so hätte em Angriff auf den Kirchenstaat und aufVenetien unwei-
gerlich die militärische Intervention Frankreichs und den Widerstand Österreichs
und damit das Ende aller Bemühungen um die Einigung Italiens zur Folge
gehabt.
Cavour befürchtete jedoch nicht nur internationale Verwicklungen, sondern er
sorgte sich auch um die Zukunft der Monarchie. Gerne hätte er den Übergang Gari-
baldis über die Meerenge von Messina verhindert. An seinen diplomatischen Ver-
trauten Costantino Nigra schrieb er am 1. August 1860, wenn Garibaldi nach Sizi-
lien auch das Königreich Neapel erobere, wäre er absoluter Herr der Situation.
König Viktor Emanuel verlöre nahezu sein gesamtes Ansehen. Die große Mehrheit
der Italiener könnte in ihm künftig nichts anderes erblicken als den Freund Garibal-
dis. Zwar würde er die sardinische Krone wahrscheinlich behalten, aber diese Krone
würde nur noch im Widerschein des Lichtes leuchten, das em heroischer Aben-
 
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