48 | JAHRESFEIER
teurer auf sie fallen lasse2. Die Krone Italiens dagegen würde nur locker sitzen, wenn
der König sie aus den Händen Garibaldis empfangen hätte3.
Die plebiszitäre Zustimmung, die Garibaldi sich durch seine Erfolge erwarb,
war für Viktor Emanuel in der Tat deshalb besonders gefährlich, weil er als König von
Sardinien auf andere Staaten Italiens keinerlei dynastische Ansprüche besaß. Daher
konnte er außerhalb des Königreichs Sardinien seine Legitimität nur auf den natio-
nalen Gedanken und auf den zur italienischen Verfassung erweiterten piemontesi-
schen Statute albertino von 1848 stützen. Den nationalen Gedanken verfocht Gari-
baldi jedoch nicht weniger entschieden als Viktor Emanuel, und eine Verfassung hätte
der entstehende Nationalstaat auch auf demokratischerem Wege erhalten können als
durch Übertragung des auf monarchischem Oktroi beruhenden Statute albertino.
Cavour sah in diesem kritischen Augenglick nur einen Ausweg, um das mon-
archische Prinzip zu retten. König Viktor Emanuel mußte dem Volkshelden zuvor-
kommen und die Einheit Italiens unter Aussparung Roms selbst militärisch vollen-
den. Cavour spielte mit dem Gedanken, in Neapel einen Aufstand anzuzetteln, um
einen Vorwand für eine militärische Intervention zu schaffen, bevor Garibaldi dort
einträfe4. Wenn Viktor Emanuel den Habsburgern danach gemeinsam mit dem
Volksführer Venetien entrisse, wären dessen Erfolge in Sizilien bald vergessen. Der
Plan sei zwar riskant. Für einen Herrscher aus dem Hause Savoyen wäre es jedoch
besser, im Krieg zu fallen als durch die Revolution. Offensichtlich glaubte der anson-
sten besonnene Cavour die Autorität seines Herrschers nur noch dadurch aufrecht-
erhalten zu können, daß dieser selbst in die Rolle des charismatischen Helden
schlüpfte und dadurch zusätzlich zur dynastischen auch eine plebiszitäre Legitima-
tion als siegreicher militärischer Führer erwarb5.
Cavours Überlegungen blieben folgenlos. Nach der Eroberung Neapels setzte
er jedoch alles daran, um Garibaldi von einer Fortsetzung seines Feldzugs abzubrin-
gen. Angesichts des immensen Prestiges, das der Volksheld in der Öffentlichkeit
genoß, konnte sich an dieser Aufgabe nur der König selbst versuchen, zumal Gari-
baldi dem piemontesischen Ministerpräsidenten nicht verzeihen konnte, daß er seine
Heimatstadt Nizza an Frankreich abgetreten hatte. Mit Zustimmung der französi-
schen Regierung marschierte Viktor Emanuel II. an der Spitze regulärer Truppen
durch den Kirchenstaat und Garibaldi entgegen. BeiTeano nördlich von Neapel traf
der König am 26. Oktober 1860 mit dem Kriegshelden zusammen. Garibaldi legte
seine Diktatur umstandslos nieder und übertrug die Herrschaft auf Viktor Emanuel,
nachdem sich die Bevölkerung durch Plebiszit mit überwältigender Mehrheit
2 Cavour a Nigra, 1.8.1860, in: II carteggio Cavour-Nigra dal 1858 al 1861, vol. 4: La liberazione
del Mezzogiorno, Bologna 1929, S. 122: «[...] cette couronne ne brillera plus que par le redet de
la lumiere qu’un aventurier heroique jugera bon de jeter sur eile.»
3 Cavour a Nigra, 1.8.1860, S. 122: «Le Roi ne peut tenir la couronne d’Italie des mains de Gari-
baldi: eile chancellerait trop sur sa tete».
4 Cavour a Nigra, 1.8.1860, S. 123.
3 Vgl. zu dem Vorgang auch: Romeo, Rosario, Cavour e il suo tempo (1854—1861), Bari 1984,
S. 715f.
teurer auf sie fallen lasse2. Die Krone Italiens dagegen würde nur locker sitzen, wenn
der König sie aus den Händen Garibaldis empfangen hätte3.
Die plebiszitäre Zustimmung, die Garibaldi sich durch seine Erfolge erwarb,
war für Viktor Emanuel in der Tat deshalb besonders gefährlich, weil er als König von
Sardinien auf andere Staaten Italiens keinerlei dynastische Ansprüche besaß. Daher
konnte er außerhalb des Königreichs Sardinien seine Legitimität nur auf den natio-
nalen Gedanken und auf den zur italienischen Verfassung erweiterten piemontesi-
schen Statute albertino von 1848 stützen. Den nationalen Gedanken verfocht Gari-
baldi jedoch nicht weniger entschieden als Viktor Emanuel, und eine Verfassung hätte
der entstehende Nationalstaat auch auf demokratischerem Wege erhalten können als
durch Übertragung des auf monarchischem Oktroi beruhenden Statute albertino.
Cavour sah in diesem kritischen Augenglick nur einen Ausweg, um das mon-
archische Prinzip zu retten. König Viktor Emanuel mußte dem Volkshelden zuvor-
kommen und die Einheit Italiens unter Aussparung Roms selbst militärisch vollen-
den. Cavour spielte mit dem Gedanken, in Neapel einen Aufstand anzuzetteln, um
einen Vorwand für eine militärische Intervention zu schaffen, bevor Garibaldi dort
einträfe4. Wenn Viktor Emanuel den Habsburgern danach gemeinsam mit dem
Volksführer Venetien entrisse, wären dessen Erfolge in Sizilien bald vergessen. Der
Plan sei zwar riskant. Für einen Herrscher aus dem Hause Savoyen wäre es jedoch
besser, im Krieg zu fallen als durch die Revolution. Offensichtlich glaubte der anson-
sten besonnene Cavour die Autorität seines Herrschers nur noch dadurch aufrecht-
erhalten zu können, daß dieser selbst in die Rolle des charismatischen Helden
schlüpfte und dadurch zusätzlich zur dynastischen auch eine plebiszitäre Legitima-
tion als siegreicher militärischer Führer erwarb5.
Cavours Überlegungen blieben folgenlos. Nach der Eroberung Neapels setzte
er jedoch alles daran, um Garibaldi von einer Fortsetzung seines Feldzugs abzubrin-
gen. Angesichts des immensen Prestiges, das der Volksheld in der Öffentlichkeit
genoß, konnte sich an dieser Aufgabe nur der König selbst versuchen, zumal Gari-
baldi dem piemontesischen Ministerpräsidenten nicht verzeihen konnte, daß er seine
Heimatstadt Nizza an Frankreich abgetreten hatte. Mit Zustimmung der französi-
schen Regierung marschierte Viktor Emanuel II. an der Spitze regulärer Truppen
durch den Kirchenstaat und Garibaldi entgegen. BeiTeano nördlich von Neapel traf
der König am 26. Oktober 1860 mit dem Kriegshelden zusammen. Garibaldi legte
seine Diktatur umstandslos nieder und übertrug die Herrschaft auf Viktor Emanuel,
nachdem sich die Bevölkerung durch Plebiszit mit überwältigender Mehrheit
2 Cavour a Nigra, 1.8.1860, in: II carteggio Cavour-Nigra dal 1858 al 1861, vol. 4: La liberazione
del Mezzogiorno, Bologna 1929, S. 122: «[...] cette couronne ne brillera plus que par le redet de
la lumiere qu’un aventurier heroique jugera bon de jeter sur eile.»
3 Cavour a Nigra, 1.8.1860, S. 122: «Le Roi ne peut tenir la couronne d’Italie des mains de Gari-
baldi: eile chancellerait trop sur sa tete».
4 Cavour a Nigra, 1.8.1860, S. 123.
3 Vgl. zu dem Vorgang auch: Romeo, Rosario, Cavour e il suo tempo (1854—1861), Bari 1984,
S. 715f.