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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2010 — 2011

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I. Das Geschäftsjahr 2010
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Sitzung der Phil.-hist. Klasse am 22. Januar 2010
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Engler, Bernd: Amerikanische Identitätspolitik im 17. und 18. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.55658#0044
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SITZUNGEN

ihren Höhepunkt erreichenden Westexpansion, sondern die Tatsache, dass sich das
amerikanische Sendungsbewusstsein und damit auch der amerikanische Exzeptiona-
hsmus auf das in der abendländischen Kultur geläufige Konzept der translatio imperii
bezieht. Auch Gast Gemälde nimmt die im Amerika des 18. und 19. Jahrhunderts
gängige Vorstellung der translatio als einer Westwärtsbewegung des kulturellen (wie
religiösen) Fortschritts und der Erleuchtung auf und kommentiert die von George
Berkeley so eingängig formulierte Auffassung, dass Amerika der Kulminations- und
Erfüllungspunkt einer universalen historischen Entwicklung sei:5 Die eschatologisch
konzipierte Weltgeschichte, die in Auslegung des im Buch Daniel geschilderten
Traums des babylonischen Königs Nebukadnezar insbesondere seit dem Mittelalter
von einer Vier-Reiche-Folge ausging, wird bei Bishop Berkeley nunmehr um eine
fünfte Entwicklungsstufe ergänzt. Mit dieser Stufe wird die heilsgeschichtliche Erfül-
lung der Weltgeschichte in die Neue Welt verlegt, während sie bis ins 17. Jahrhun-
dert noch als europafinal betrachtet worden war.6 Den Voraussetzungen dieser
schließlich weit verbreiteten Amerikafinalität im Geschichtsverlauf nachzugehen, ist
Ziel des Vortrages. Es gilt dabei jenen Ursachen amerikanischer Identitätspolitik
nachzuforschen, die im Laufe des 17. und frühen 18. Jahrhunderts ein Denken her-
vorbrachte, das dem auch heute noch dominanten amerikanischen Exzeptionalismus
Vorschub leistete und Amerika als Schlusspunkt einer heilsgeschichtlichen Entwick-
lung oder — säkular gewendet — eines linear-progessiven universalen Geschichtspro-
zesses stilisierte.

5 George Berkeley in „Verses by the Author, on the Prospect of Planting Arts and Learning in
America,“ A Miscellany, Containing Several Tracts on Various Subjects, London, 1752,187: „Westward
the Course of Empire takes itsWay;/The four first Acts already past,/A fifth shall close the Drama
with the Day;/Time’s noblest Offspring is the last.“
6 Mittelalterliche Bibelexegeten hatten Nebukadnezars Traum von einer Herrscherfigur mit einem
Kopf aus Gold, mit Brust und Armen aus Silber, Bauch aus Bronze, Schenkeln aus Eisen und
Füßen teils aus Eisen, teils aus Ton mit konkreten historischen Reichen in Verbindung gebracht.
Das erste, das goldene Reich wurde gemeinhin mit dem babylonischen Reich Nebukadnezars
identifiziert. Als die darauffolgenden silbernen bzw. bronzenen Reiche galten zumeist das Per-
serreich und das Alexanderreich. Die Tatsache, dass die Herrscherfigur in Nebukadnezars Traum
über teils eiserne, teils tönerne Füße verfügte, wurde vielfach auf das Römische Reich bezogen,
insofern es ab 395 n. Chr. von zwei Kaisern regiert wurde und schließlich in das Weströmische
und das Oströmische Reich zerfiel. Im Laufe des 18. Jahrhunderts gewann schließlich die auf-
klärerisch-säkulare Übertragung der Vier-Reiche-Lehre auf die Entwicklung von Hochkulturen
weite Verbreitung und fand Eingang in ein translatio nnperii-Konzept, das die Kulturen Babyloni-
ens, Griechenlands, Roms und vielfach Englands als die zentralen Stufen der Entwicklung aus-
machte. Viele europäische Gelehrte hielten anders als George Berkeley an der Vorstellung fest,
dass sich die Geschichte in Europa erfüllen würde, so auch Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der
in seinen geschichtsphilosophischen Überlegungen konstatiert: "Die Weltgeschichte geht von
Osten nach Westen, denn Europa ist schlechthin das Ende der Weltgeschichte, Asien der Anfang“
("Die Vernunft in der Geschichte“ [1837], Sämtliche Werke, hg. Georg Lassen, Leipzig, 1920,
Bd. 8.1, 232f.). Zur Übertragung der translatio-imperii-Vorstellung auf die Vereinigten Staaten
von Amerika siehe u.a. Johan Hendrik Jacob van der Pots Sinndeutung und Periodisierung der
Geschichte: Eine systematische Übersicht der Theorien und Auffassungen, Leiden, 1999, 387-390.
 
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