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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2010 — 2011

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I. Das Geschäftsjahr 2010
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Sitzung der Phil.-hist. Klasse am 29. Oktober 2010
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https://doi.org/10.11588/diglit.55658#0111
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29. Oktober 2010 \ 127

indem er verbreitet: Einer der Kandidaten erzähle, dass er demnächst in die Akade-
mie gewählt werde. Wir können den Kandidaten nicht zur Rede stellen. Klar ist, dass
sich niemand selbst bewerben kann. Damit hätte er sich für die Akademie disquali-
fiziert. Das aber ist nicht der Fall.
Wir müssen beidem gerecht werden: der Diskretionspflicht und einem nicht
ganz aufklärbarem Sachverhalt. Eine Bagatelhsierung verhindern wir durch Verschie-
bung der ersten Lesung. Die Klasse ist dann beim nächsten Mal frei, weitere Konse-
quenzen zu ziehen. Eine Katastrophisierung verhindern wir dadurch, dass wir uns
innerlich frei machen, in der nächsten Sitzung die wissenschaftliche Qualität beider
Vorgeschlagenen in sich zu würdigen. Durch die Verschiebung der ersten Lesung und
der Aussprache wollen wir vermeiden, dass die Mitteilung über die Indiskretion in
die Beratung einer Laudatio hinein „platzt“ und diese überschattet. Wichtig ist: Dass
wir bei der nächsten Sitzung uns die Freiheit nehmen, in jede Richtung zu ent-
scheiden. Wenn ein Außenstehender unsere Entscheidung vorwegnimmt, beein-
trächtigt er diese Freiheit. Diese müssen wir uns nehmen.

Anlage 2 zu TOP 7
Erklärung des stellv. Sekretärs zur Gestaltung unseres Sitzungsraums
Bis vor kurzem stand in unserem Sitzungsraum eine Büste des bedeutenden
Chemikers Richard Kuhn (1900—1967), der 1938 den Nobelpreis für Chemie
erhielt. Da er ihn in der NS-Zeit nicht annehmen durfte, wurde er ihm erst nach
dem Krieg überreicht. Seme Bedeutung als Wissenschaftler ist unbestritten. Seine
Büste wurde inzwischen der Familie auf Initiative des Präsidenten hm zurückgege-
ben und durch die Büste des Chemikers Karl Freudenberg (1886—1983) ersetzt. Im
Namen von Karl Freudenberg verleihen wir jährlich einen Preis für junge Wissen-
schaftler. Der Austausch der Büste verlangt eine Erklärung.
Ich habe im April dieses Jahres einen Antrag an den Vorstand gestellt, die Büste
von Richard Kuhn an einem anderen Ort zu platzieren. Bei der Lektüre unserer
Akademiegeschichte von Udo Wennemuth1 war ich darauf gestoßen, dass Richard
Kuhn bei der Vertreibung von Juden aus unserer Akademie eine aktive Rolle
gespielt hat. Nachdem die Math.-nat. Klasse im Jahr 1935 durch Zuwahlen eine
starke nationalsozialistische Gruppe erhalten hatte, boykottierten diese die Akade-
miesitzungen mit der Begründung, ihnen sei die Anwesenheit von Juden nicht
zuzumuten. Sie blieben ca. zwei Jahre lang den Sitzungen der Akademie fern. Vier
namentlich bekannte Nationalsozialisten wurden dabei von einem weiteren anony-

U. Wennemuth, Wissenschaftsorganisation und Wissenschaftsförderung in Baden. Die Heidelber-
ger Akademie der Wissenschaften 1909-1949, Heidelberg 1994, vor allem S. 429f Anm. 364.
Ein Gutachten der Wissenschaftshistorikerin U. Deichmann zu Richard Kuhns Verhalten in der
NS-Zeit wurde von der Gesellschaft Deutscher Chemiker im Internet veröffentlicht:
uww.gdch.de/oearbeit/deich_kahn.pdf. Dieses Gutachten basiert auf U. Deichmann, Flüchten, Mit-
machen, Vergessen. Chemiker und Biochemiker in der NS-Zeit, Weinheim 2001. Es erwähnt
seine Tätigkeit in der Akademie nicht.
 
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