224 | ANTRITTSREDEN
einmal vorweisen können. Nach dem Abitur habe ich 1965 das Studium der Medi-
zin in Freiburg aufgenommen, das ich als Boursier de l’Universite de Lausanne in
Lausanne und mit einem weiteren Auslandsaufenthalt in St. Louis, USA, weiterge-
führt und 1971 mit dem medizinischen Staatsexamen in Freiburg abgeschlossen
habe. Aus diesen Jahreszahlen können Sie ersehen, dass ich, obwohl ich hier nicht in
Tennisschuhen vor Ihnen stehe, ein waschechter 68er bin. Ich war damals der Leiter
der medizinischen Fachschaft in Freiburg und möchte diese Zeit nicht missen, da sie
zur politischen Willensbildung meiner Generation beigetragen hat. Das Spannungs-
feld wurde dadurch deutlich, dass es für mich eine Selbstverständlichkeit war, den
Philosophen Herbert Marcuse, der in Freiburg vor einem überfüllten Auditorium
Maximum redete, zum Abendessen einzuladen, genauso wie es zum guten Ton
gehörte, die Vorlesung des berühmten Physiologen Fleckenstein, der entscheidende
Entdeckungen in der Herzphysiologie gemacht hat, zu sprengen. Als ich mit ande-
ren „Revolutionären“ mit dem Megaphon in der Hand vor dem überfüllten Hör-
saal der Physiologie auf dem Physiologietisch stand und die Studenten zum Wider-
stand gegen den Muff unter den Talaren aufrief, schaute mich Fleckenstein von
schräg unten an und sagte: „Krammer, Ihnen haue ich auch noch mal in die F...“.
Fleckenstein hatte vorgeplant und seinen Kollegen, den Sportmediziner Reindell,
um Hilfe gebeten. Dieser hatte an besagtem Tage gerade die Deutsche Eishockey-
mannschaft zur Untersuchung in seiner Klinik. Sehr zu unserer Überraschung
erschienen deren breitschultrige Mitglieder unerwartet am Hörsaaleingang und
beförderten die schmalbrüstigen Revoluzzer kurzerhand vor die Tür. Gegenwehr
war zwecklos. Wir hatten keine Chance. Die Zeit und die Stimmung waren damals
besonders aufgeheizt, und in diesem speziellen Fall sowohl von harten Gegensätzen
als auch von Verständnis gekennzeichnet, zumal ich als Leiter der medizinischen
Fachschaft im Fleckenstemschen physiologischen Institut mehrere Jahre hintereinan-
der die Faschingsfeste organisiert habe. Ich habe dann später posthum meinen Frie-
den mit Fleckenstein gemacht, als er sich ungerechtfertigt dem Vorwurf ausgesetzt
sah, dass die von ihm entdeckten Kalziumantagonisten Krebs hervorrufen sollten.
Dies entbehrte nach meinen Recherchen jeder Grundlage, was ich auch als Gut-
achter bekräftigt habe.
Meine erste wissenschaftliche Veröffentlichung fiel ebenfalls in diese Zeit, da
ich schon in den ersten Semestern zusammen mit Professor Hassenstein, einem Zoo-
logen, der ebenfalls Mitglied der Heidelberger Akademie ist, in einem kleinen Buch
„Die Reform des naturwissenschaftlich-medizinischen Studiums“ veröffentlicht
habe. Die Empfehlungen in diesem Buch gingen dann in die Empfehlungen des
DeutschenWissenschaftsrats ein und waren mit dafür verantwortlich, dass der Fron-
talunterricht im Vergleich zum Unterricht in kleinen Gruppen stark zurückgefahren
wurde. Meinen ersten Kontakt mit der praktischen Naturwissenschaft habe ich am
Freiburger Institut für Mikrobiologie und Hygiene geknüpft, an dem ich eine Pro-
motionsarbeit über extrazelluläre Streptokokkenantigene angefertigt habe. Dieser
Einstieg in das experimentelle Arbeiten war für mich insofern eine doppelte Erfah-
rung, als die Ergebnisse meines Vorgängers nicht zu wiederholen waren, und ich erst
dann erfolgreich arbeiten konnte, als ich das Thema geändert hatte. Dennoch war
einmal vorweisen können. Nach dem Abitur habe ich 1965 das Studium der Medi-
zin in Freiburg aufgenommen, das ich als Boursier de l’Universite de Lausanne in
Lausanne und mit einem weiteren Auslandsaufenthalt in St. Louis, USA, weiterge-
führt und 1971 mit dem medizinischen Staatsexamen in Freiburg abgeschlossen
habe. Aus diesen Jahreszahlen können Sie ersehen, dass ich, obwohl ich hier nicht in
Tennisschuhen vor Ihnen stehe, ein waschechter 68er bin. Ich war damals der Leiter
der medizinischen Fachschaft in Freiburg und möchte diese Zeit nicht missen, da sie
zur politischen Willensbildung meiner Generation beigetragen hat. Das Spannungs-
feld wurde dadurch deutlich, dass es für mich eine Selbstverständlichkeit war, den
Philosophen Herbert Marcuse, der in Freiburg vor einem überfüllten Auditorium
Maximum redete, zum Abendessen einzuladen, genauso wie es zum guten Ton
gehörte, die Vorlesung des berühmten Physiologen Fleckenstein, der entscheidende
Entdeckungen in der Herzphysiologie gemacht hat, zu sprengen. Als ich mit ande-
ren „Revolutionären“ mit dem Megaphon in der Hand vor dem überfüllten Hör-
saal der Physiologie auf dem Physiologietisch stand und die Studenten zum Wider-
stand gegen den Muff unter den Talaren aufrief, schaute mich Fleckenstein von
schräg unten an und sagte: „Krammer, Ihnen haue ich auch noch mal in die F...“.
Fleckenstein hatte vorgeplant und seinen Kollegen, den Sportmediziner Reindell,
um Hilfe gebeten. Dieser hatte an besagtem Tage gerade die Deutsche Eishockey-
mannschaft zur Untersuchung in seiner Klinik. Sehr zu unserer Überraschung
erschienen deren breitschultrige Mitglieder unerwartet am Hörsaaleingang und
beförderten die schmalbrüstigen Revoluzzer kurzerhand vor die Tür. Gegenwehr
war zwecklos. Wir hatten keine Chance. Die Zeit und die Stimmung waren damals
besonders aufgeheizt, und in diesem speziellen Fall sowohl von harten Gegensätzen
als auch von Verständnis gekennzeichnet, zumal ich als Leiter der medizinischen
Fachschaft im Fleckenstemschen physiologischen Institut mehrere Jahre hintereinan-
der die Faschingsfeste organisiert habe. Ich habe dann später posthum meinen Frie-
den mit Fleckenstein gemacht, als er sich ungerechtfertigt dem Vorwurf ausgesetzt
sah, dass die von ihm entdeckten Kalziumantagonisten Krebs hervorrufen sollten.
Dies entbehrte nach meinen Recherchen jeder Grundlage, was ich auch als Gut-
achter bekräftigt habe.
Meine erste wissenschaftliche Veröffentlichung fiel ebenfalls in diese Zeit, da
ich schon in den ersten Semestern zusammen mit Professor Hassenstein, einem Zoo-
logen, der ebenfalls Mitglied der Heidelberger Akademie ist, in einem kleinen Buch
„Die Reform des naturwissenschaftlich-medizinischen Studiums“ veröffentlicht
habe. Die Empfehlungen in diesem Buch gingen dann in die Empfehlungen des
DeutschenWissenschaftsrats ein und waren mit dafür verantwortlich, dass der Fron-
talunterricht im Vergleich zum Unterricht in kleinen Gruppen stark zurückgefahren
wurde. Meinen ersten Kontakt mit der praktischen Naturwissenschaft habe ich am
Freiburger Institut für Mikrobiologie und Hygiene geknüpft, an dem ich eine Pro-
motionsarbeit über extrazelluläre Streptokokkenantigene angefertigt habe. Dieser
Einstieg in das experimentelle Arbeiten war für mich insofern eine doppelte Erfah-
rung, als die Ergebnisse meines Vorgängers nicht zu wiederholen waren, und ich erst
dann erfolgreich arbeiten konnte, als ich das Thema geändert hatte. Dennoch war