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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2011 — 2012

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I. Das Geschäftsjahr 2011
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Gesamtsitzung am 29. Oktober 2011
DOI Artikel:
Krammer, Peter H.: Was ist individualisierte Medizin?: Über Chancen und Gefahr der maßgeschneiderten Behandlung nach Genomanalyse$dImpulsreferat von Peter H. Krammer
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https://doi.org/10.11588/diglit.55657#0106
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29. Oktober 2011

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DISKUSSIONSBEITRAG VON ANTHONY D. HO
Die „personalisierte Medizin“ verspricht, dass jeder Krebspatient nach dem mole-
kulargenetischen Profil der entnommenen Tumorgewebeproben eine maßgeschnei-
derte Therapie bekommen wird. Dies scheint mir aus mehreren Gründen falsch und
irreführend zu sein:
1. Der Name ist irreführend. Es wird lediglich eine Probe des Tumorgewebes von
Betroffenen untersucht, ohne dass der individuelle Patient ganzheitlich betrachtet
(und untersucht) wird.
2. Herr Krammer hat darauf hingewiesen, dass die Tumorzellen einer Krebsart nicht
nur von Patient zu Patient unterschiedlich sein können, sondern auch innerhalb
eines individuellen Patienten und manchmal sogar in ein- und derselben Gewebe-
probe. Dass die molekulare Analyse einer winzigen Gewebeprobe Rückschlüsse
auf die Heterogenität der gesamten Tumormasse im Körper des Patienten und
deren Ansprechen auf die Therapie zulassen könnte, ist daher mehr als fragwürdig.
3. Die bisherige Evidenz aus klinischen Studien ist bescheiden. Es handelt sich viel-
mehr um die Entwicklung von Nischenpräparaten für Privilegierte und das für
sehr kurze Zeit.
4. Bisher bedeutet die Gensequenzierung lediglich eine Inflation der Diagnostik-,
Entwicklungs- und Behandlungskosten. Die Praktikabilität auf einer breiten Basis
ist fragwürdig.
5. Eine „stratifiziertes Vorgehen“ wird schon seit einigen Jahren bei Leukämie-Pati-
enten praktiziert. Hier wird gezielt nach spezifischen molekularen Aberrationen
gesucht, die sich als Krankheitsursache erwiesen haben. Beispiele sind BCR-ABL
assoziierte Leukämiearten wie die chronische myeloische Leukämie (CML). Ima-
tinib z. B. hemmt ganz spezifisch das krebsinduzierende Protein BCR-ABL, sodass
die Überlebenschance für Patienten mit CML um bereits das siebenfache ange-
stiegen ist.
DISKUSSIONSBEITRAG VON JÜRGEN DEBUS
Der Begriff personalisierte Medizin wird in jüngerer Zeit kontrovers diskutiert.
Darunter wird die Vision verstanden, bei dem eine Vielzahl von biomedizinischen
Messwerten, insbesondere Daten zum individuellen Genom des Patienten, herange-
zogen werden, um Risikoabschätzungen durchzuführen und auch Entscheidungen
für weitere diagnostische und therapeutische Verfahren zu treffen. Diese Therapie-
entscheidungen können sowohl auf die Erkrankung fokussiert sein oder auch den
Patienten in seiner Gesamtkonstellation bezüglich des Risikos für verschiedene
Erkrankungen betrachten. Durch den Preisverfall der Sequenzierung eines mensch-
lichen Genoms auf zukünftig ca. 1000 Euro pro Patient erscheint die personalisierte
Medizin zum Greifen nahe.
Dabei müssen jedoch Parameter zur Disposition für verschiedene Krankheiten
neben den genomischen Daten auch lebensspezifische, altersspezifische und
geschlechtsspezifische Faktoren berücksichtigen. Diese Daten können nicht mehr
ohne eine leistungsfähige Biomathematik berechnet und interpretiert werden.
 
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