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jours“, die er für das deutsche Publikum bearbeitete. Die Bände 7 (Von der Reform
zur Reformation) und 8 (Die Zeit der Konfessionen) verantwortete er allein, an
den Bänden 9 (Zeitalter der Vernunft) und 10 (Aufklärung, Revolution und Restau-
ration) war er beteiligt.
In seiner Antrittsrede definierte Herr Smolinsky 1999 die Stellung zu seinem
Fach „zunächst als Hinwendung zu einer problemorientierten Kirchengeschichte,
was heißt, nach den Bewältigungsmechanismen zu suchen, die die religiöse Lehre
und Praxis für die Lebensorganisation bieten, und somit den Glauben in einen
Gesamtzusammenhang verorten. Zudem drängt sich mir mehr und mehr die Über-
zeugung auf, dass diese Geschichte als Christentumsgeschichte, d. h. weniger strikt
als meist üblich auf eine Konfession bezogen zu beschreiben wäre. Auf diese Weise
ließen sich Gegensätze und Gleichartigkeiten klarer herausarbeiten, die vor allem
konfessionell mehrschichtige Gesellschaften prägen.“ Als der führende katholische
Reformationshistoriker Deutschlands war Heribert Smolinsky ein begehrter
Gesprächspartner und vielgefragter Vortragender, auch und gerade auf Symposien
und Tagungen, die von evangelischen Institutionen ausgerichtet wurden (z.B. Inter-
nationaler Lutherkongress). 1994 wurde er zum Mitglied des Ökumenischen
Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen gewählt. Zu seinem 65.
Geburtstag stellten seine Schüler Smolinskys „Gesammelte Studien zur Kirchen-
geschichte in Spätmittelalter und früher Neuzeit“ unter dem Titel „Im Zeichen von
Kirchenreform und Reformation“ zusammen (Münster 2005). Die Gruppierung
der Texte unter vier Rubriken spiegelte schlagwortartig noch einmal die Schwer-
punkte seiner Arbeit wider: Humanismus und Bildungsgeschichte, Reformations-
geschichte und Kirchenreform, Reformation am Oberrhein, Theologie- und Wis-
senschaftsgeschichte. Dem Band ist auch eine Werkbibliographie beigegeben.
In der Heidelberger Akademie der Wissenschaften hat Herr Smolinsky im
Jahre 2000 einen Vortrag gehalten, der als Band 20 der Schriften der Philosophisch-
Historischen Klasse veröffentlicht wurde: „Deutungen der Zeit im Streit der Kon-
fessionen. Kontroverstheologie, Apokalyptik und Astrologie im 16. Jahrhundert“. In
subtilen Textuntersuchungen zeichnete er darin nach, wie in der zweiten Hälfte des
16. Jahrhunderts und insbesondere nach der von den Evangelischen abgelehnten
Kalenderreform Gregors XIII. Lutheraner und Katholiken ein unterschiedliches
Zeitverständnis entwickelten: Judizialastrologie mit der Prophezeiung des nahen
Jüngsten Tages einerseits, Berufung auf die die Welt und ihre Ordnung stabilisieren-
den bewährten Größen Papst und Kaiser andererseits. Einige Jahre leitete Herr
Smolinsky die Akademiekommission für die Forschungsstelle „Evangelische Kirchen-
ordnungen des XVI. Jahrhunderts“.
Heribert Smolinsky war ein stiller, zurückhaltender Gelehrter, der Welt und
Menschen eher skeptisch sah, und dies umso mehr, je älter er wurde. Seine letzten
Lebensjahre waren durch psychische und physische Krankheiten verdunkelt, die
ihm wissenschaftliches Arbeiten zunehmend unmöglich machten und ihn in eine
selbstgewählte Vereinsamung trieben. Im zweiundsiebzigsten Lebensjahr ist Herr
Smolinsky in Freiburg gestorben.
EIKE WOLGAST
NACHRUFE
jours“, die er für das deutsche Publikum bearbeitete. Die Bände 7 (Von der Reform
zur Reformation) und 8 (Die Zeit der Konfessionen) verantwortete er allein, an
den Bänden 9 (Zeitalter der Vernunft) und 10 (Aufklärung, Revolution und Restau-
ration) war er beteiligt.
In seiner Antrittsrede definierte Herr Smolinsky 1999 die Stellung zu seinem
Fach „zunächst als Hinwendung zu einer problemorientierten Kirchengeschichte,
was heißt, nach den Bewältigungsmechanismen zu suchen, die die religiöse Lehre
und Praxis für die Lebensorganisation bieten, und somit den Glauben in einen
Gesamtzusammenhang verorten. Zudem drängt sich mir mehr und mehr die Über-
zeugung auf, dass diese Geschichte als Christentumsgeschichte, d. h. weniger strikt
als meist üblich auf eine Konfession bezogen zu beschreiben wäre. Auf diese Weise
ließen sich Gegensätze und Gleichartigkeiten klarer herausarbeiten, die vor allem
konfessionell mehrschichtige Gesellschaften prägen.“ Als der führende katholische
Reformationshistoriker Deutschlands war Heribert Smolinsky ein begehrter
Gesprächspartner und vielgefragter Vortragender, auch und gerade auf Symposien
und Tagungen, die von evangelischen Institutionen ausgerichtet wurden (z.B. Inter-
nationaler Lutherkongress). 1994 wurde er zum Mitglied des Ökumenischen
Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen gewählt. Zu seinem 65.
Geburtstag stellten seine Schüler Smolinskys „Gesammelte Studien zur Kirchen-
geschichte in Spätmittelalter und früher Neuzeit“ unter dem Titel „Im Zeichen von
Kirchenreform und Reformation“ zusammen (Münster 2005). Die Gruppierung
der Texte unter vier Rubriken spiegelte schlagwortartig noch einmal die Schwer-
punkte seiner Arbeit wider: Humanismus und Bildungsgeschichte, Reformations-
geschichte und Kirchenreform, Reformation am Oberrhein, Theologie- und Wis-
senschaftsgeschichte. Dem Band ist auch eine Werkbibliographie beigegeben.
In der Heidelberger Akademie der Wissenschaften hat Herr Smolinsky im
Jahre 2000 einen Vortrag gehalten, der als Band 20 der Schriften der Philosophisch-
Historischen Klasse veröffentlicht wurde: „Deutungen der Zeit im Streit der Kon-
fessionen. Kontroverstheologie, Apokalyptik und Astrologie im 16. Jahrhundert“. In
subtilen Textuntersuchungen zeichnete er darin nach, wie in der zweiten Hälfte des
16. Jahrhunderts und insbesondere nach der von den Evangelischen abgelehnten
Kalenderreform Gregors XIII. Lutheraner und Katholiken ein unterschiedliches
Zeitverständnis entwickelten: Judizialastrologie mit der Prophezeiung des nahen
Jüngsten Tages einerseits, Berufung auf die die Welt und ihre Ordnung stabilisieren-
den bewährten Größen Papst und Kaiser andererseits. Einige Jahre leitete Herr
Smolinsky die Akademiekommission für die Forschungsstelle „Evangelische Kirchen-
ordnungen des XVI. Jahrhunderts“.
Heribert Smolinsky war ein stiller, zurückhaltender Gelehrter, der Welt und
Menschen eher skeptisch sah, und dies umso mehr, je älter er wurde. Seine letzten
Lebensjahre waren durch psychische und physische Krankheiten verdunkelt, die
ihm wissenschaftliches Arbeiten zunehmend unmöglich machten und ihn in eine
selbstgewählte Vereinsamung trieben. Im zweiundsiebzigsten Lebensjahr ist Herr
Smolinsky in Freiburg gestorben.
EIKE WOLGAST