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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2013 — 2014

DOI Kapitel:
I. Das akademische Jahr 2013
DOI Artikel:
Kirchhof, Paul: Festrede von Paul Kirchhof: „Der Auftrag einer Akademie in Zeiten kulturellen Umbruchs“
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55655#0029
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JAHRESFEIER

damit die Voraussetzungen eines allgemeinen Friedens zu sichern, nehmen aber
in dieser responsibility to protect in Kauf, durch Waffeneinsatz zukünftigen Waffen-
einsatz zu erübrigen.
Damit stellt sich die Frage nach der Legitimation von Herrschaft, nach indivi-
dueller Freiheit und Selbstverantwortlichkeit, nach einer Balance zwischen der
Macht des Rechts und der Macht des Geldes, nach der Souveränität des Staatsvolkes,
nach dem Traum der Menschen von universalen Menschenrechten mit aktueller
Dringlichkeit. Die Idee des Weltenstaates ist nicht real, wurde nicht gewünscht. Der
Weltenstaat erschwerte kulturelle Vielfalt, behinderte Demokratie in einem sich sei-
ner Zusammengehörigkeit bewussten Staatenvolk, könnte einem Flüchtenden und
Verfolgten in keinem anderen Staat Zuflucht (Asyl) bieten.
Unsere Akademie ist bereit zum Gespräch mit der Gesellschaft, zur öffentli-
chen Debatte, zum politischen Rat. Wir sind uns aber auch bewusst, dass eine wis-
senschaftliche Akademie beim Erkennen und bei der Vermittlung von Erkenntnissen
nicht mehrheitlich entscheiden kann. Die Frage, welche Heilungschancen die Gen-
technik bietet, welche neuen Formen der Energiegewinnung sich in Europa mit
welchen Umweltrisiken entwickeln, welche Sicherheiten die Atomphysik bietet,
beantwortet sich nach Regeln des Erkennens, nicht nach mehrheitlichem Wollen.
Die Mitglieder einer Akademie können sich als institutionelle Einheit deshalb zu
derartigen Fragen erst äußern, wenn eine gewisse wissenschaftliche Erkenntnisreife
erreicht ist, unsere Wissenschaftler also in ihrem Wissen oder in der Plausibilitäts-
kontrolle der anderen Disziplinen die Überzeugung gewonnen haben, dass hier eine
Aussage mit Richtigkeitsanspruch - mit Wahrheitsanspruch — möglich ist. Wissen-
schaft löst deshalb nicht Tagesfragen, sondern beantwortet Strukturfragen. Dazu
braucht sie Zeit. Das muss kein Nachteil sein. Allein der Zeitablauf und die darin
angelegte Versachlichung hat friedenstiftende Wirkung, fördert Nachdenklichkeit,
Besonnenheit.
III. Das Begreifen der Welt in Sprache
Menschliches Begegnen und vermittelbares Erkennen setzt das Begreifen der Welt in
Sprache voraus. Die Sprachgemeinschaft fasst das, was sie erkannt und verstanden
hat, in Begriffen, versteht ihre Gegenwart und Zukunft aus ihrer Herkunft, bietet
in Übereinkunft dank Sprache eine Grundlage für Einheit und Zusammenhalt.
Sprache ist Bedingung individueller Freiheit. Die Fähigkeit zum Beobachten und
Erfahren, zum Vergleichen und Bewerten, zum Ordnen und Verstehen, zum Begeg-
nen und Mitteilen, zum Tauschen und Vereinbaren, zum gemeinsamen und gemein-
schaftlichen Handeln, zur Kultur braucht Begriffe, Sprache, eine Konvention im
Sinne einer Zusammenkunft der Sprechenden und einer Übereinkunft über die
Sprache. Recht und Staatlichkeit stützen sich auf die gemeinschaftliche Sprache. Wir
sprechen von Mensch oder Tier und erwarten, dass der Gesprächspartner mit diesen
Silben gleiche Erfahrungen verbindet. Wir sprechen von Geburt und Tod, suchen
dadurch Vorstellungen zu vermitteln, die wir in eigener Person nicht oder nicht
bewusst erlebt haben. Wir sprechen von Freiheit und Verantwortung, lassen in diesen
 
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