25. Mai 2013
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Worten Ideen anklingen, die allein durch menschliches Denken und Wollen in die
Wirklichkeit hineingetragen werden. Lebenserfahrung, Kultur, Erziehung, Recht
werden in Sprache weitergegeben. Unsägliches ist kulturell schwer greifbar.
Unsere Akademie widmet sich in besonderer Weise dem sprachlichen Begrei-
fen dieser Welt, birgt vergangene Schreib- und Sprachkulturen, ordnet und deutet die
Sprechkulturen verschiedener Lebensbereiche und Regionen und erschließt sie für
die Gegenwart, gibt so dem gegenwärtigen Wissen und Denken Fundament und
Verlässlichkeit. Dabei machen unsere Forschungsvorhaben stets bewusst, dass Sprache
oft nur andeutet, das Gemeinte fragmentarisch bezeichnet, im Kontext seiner Ent-
stehung und unserer kulturellen Gegenwart verstanden werden muss.
Die Wissenschaft von der Sprache begreift auch die Grenzen sprachlichen
Erfassens und Bestimmens. Wenn wir den Mittelpunktbegriff unserer auf Würde
und Freiheit jedes Menschen angelegten Gemeinschaftsordnung — den Begriff
„Mensch“ — zu erfassen suchen, definieren wir den Menschen vielleicht als ein
Lebewesen mit aufrechtem Gang, mit Sprache, mit Gedächtnis, mit der Fähigkeit zur
Selbstreflexion. Doch wenn wir einen so definierten Menschen willkommen heißen,
weil er Mensch ist — die Ur-Idee der Menschenrechte —, versprechen wir ihm auch
und gerade Schutz, wenn er nicht selbstbestimmt sein Leben gestalten kann, sagen
ihm Heilung zu, wenn er krank ist, verheißen ihm menschliche und soziale Zuwen-
dung, wenn er gebrechlich ist. Unsere Definition — Umgrenzung — des Begriffs
Mensch nähme sonst von diesen Segnungen der Kultur just den Menschen aus, der
nicht mehr aufrecht gehen kann, das Gedächtnis verloren hat, noch nicht selbstbe-
stimmt handelt, die Fähigkeit zur Selbstbestimmung eingebüßt hat. Das sprachliche
Begreifen des Phänomens „Mensch“ ist nicht nur auf die Unterscheidung zwischen
Regel und Ausnahme angewiesen, sondern auch auf die Offensichtlichkeit des
Undefinierbaren, auf — wie Jakob Grimm sagt — das Tabu, dem man sich nicht
nähern, das man nicht antasten darf, auf das Axiom, das wir nicht hinterfragen kön-
nen. Plötzlich wird Unsägliches zur Bedingung von Kultur.
Wenn wir die „Kunst“ begrifflich erfassen wollen, so verstehen wir diese Kunst
- das Wirken des Künstlers und das von ihm hervorgebrachte Werk - immer als
etwas Unabgeschlossenes, Offenes, das von Künstlern in Themenbereich, For-
mensprache und Ausdrucksziel selbst bestimmt wird. Jede prägnante juristische Defi-
nition der Kunst umgibt ein Hauch von Zensur. Doch wenn wir Folgerungen an
den Kunstbegriff knüpfen, können wir diesen nicht offen lassen. Ich hatte als Rich-
ter über den Antrag eines Aktfotografen zu entscheiden, der die vom Steuerrecht
gewährten Begünstigungen der Kunst beanspruchte, von der Finanzrechtsprechung
aber in die Nähe der Pornografie gerückt und deswegen von der Kunstforderung
ausgenommen worden war. Der Fotograf legte uns seine Schwarz-weiß-Bilder vor,
in denen er im Spiel von Licht und Schatten, Schärfe und Unschärfe, vertrauter
Schönheit und verfremdender Verzerrung deutlich machte, dass seine Fotografie
durchaus eine die Welt erschließende, aber auch verfremdende Aussage in eigenstän-
diger Formensprache enthielt, seinen Abbildungen der Wirklichkeit auch Schöpferi-
sches zu eigen war, er also der Kunst sehr nahe kam. Das Gericht hat ihm die Steuer-
freiheit für Kunst zugesprochen, dabei den Tatbestand Kunst aber so definiert, dass
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Worten Ideen anklingen, die allein durch menschliches Denken und Wollen in die
Wirklichkeit hineingetragen werden. Lebenserfahrung, Kultur, Erziehung, Recht
werden in Sprache weitergegeben. Unsägliches ist kulturell schwer greifbar.
Unsere Akademie widmet sich in besonderer Weise dem sprachlichen Begrei-
fen dieser Welt, birgt vergangene Schreib- und Sprachkulturen, ordnet und deutet die
Sprechkulturen verschiedener Lebensbereiche und Regionen und erschließt sie für
die Gegenwart, gibt so dem gegenwärtigen Wissen und Denken Fundament und
Verlässlichkeit. Dabei machen unsere Forschungsvorhaben stets bewusst, dass Sprache
oft nur andeutet, das Gemeinte fragmentarisch bezeichnet, im Kontext seiner Ent-
stehung und unserer kulturellen Gegenwart verstanden werden muss.
Die Wissenschaft von der Sprache begreift auch die Grenzen sprachlichen
Erfassens und Bestimmens. Wenn wir den Mittelpunktbegriff unserer auf Würde
und Freiheit jedes Menschen angelegten Gemeinschaftsordnung — den Begriff
„Mensch“ — zu erfassen suchen, definieren wir den Menschen vielleicht als ein
Lebewesen mit aufrechtem Gang, mit Sprache, mit Gedächtnis, mit der Fähigkeit zur
Selbstreflexion. Doch wenn wir einen so definierten Menschen willkommen heißen,
weil er Mensch ist — die Ur-Idee der Menschenrechte —, versprechen wir ihm auch
und gerade Schutz, wenn er nicht selbstbestimmt sein Leben gestalten kann, sagen
ihm Heilung zu, wenn er krank ist, verheißen ihm menschliche und soziale Zuwen-
dung, wenn er gebrechlich ist. Unsere Definition — Umgrenzung — des Begriffs
Mensch nähme sonst von diesen Segnungen der Kultur just den Menschen aus, der
nicht mehr aufrecht gehen kann, das Gedächtnis verloren hat, noch nicht selbstbe-
stimmt handelt, die Fähigkeit zur Selbstbestimmung eingebüßt hat. Das sprachliche
Begreifen des Phänomens „Mensch“ ist nicht nur auf die Unterscheidung zwischen
Regel und Ausnahme angewiesen, sondern auch auf die Offensichtlichkeit des
Undefinierbaren, auf — wie Jakob Grimm sagt — das Tabu, dem man sich nicht
nähern, das man nicht antasten darf, auf das Axiom, das wir nicht hinterfragen kön-
nen. Plötzlich wird Unsägliches zur Bedingung von Kultur.
Wenn wir die „Kunst“ begrifflich erfassen wollen, so verstehen wir diese Kunst
- das Wirken des Künstlers und das von ihm hervorgebrachte Werk - immer als
etwas Unabgeschlossenes, Offenes, das von Künstlern in Themenbereich, For-
mensprache und Ausdrucksziel selbst bestimmt wird. Jede prägnante juristische Defi-
nition der Kunst umgibt ein Hauch von Zensur. Doch wenn wir Folgerungen an
den Kunstbegriff knüpfen, können wir diesen nicht offen lassen. Ich hatte als Rich-
ter über den Antrag eines Aktfotografen zu entscheiden, der die vom Steuerrecht
gewährten Begünstigungen der Kunst beanspruchte, von der Finanzrechtsprechung
aber in die Nähe der Pornografie gerückt und deswegen von der Kunstforderung
ausgenommen worden war. Der Fotograf legte uns seine Schwarz-weiß-Bilder vor,
in denen er im Spiel von Licht und Schatten, Schärfe und Unschärfe, vertrauter
Schönheit und verfremdender Verzerrung deutlich machte, dass seine Fotografie
durchaus eine die Welt erschließende, aber auch verfremdende Aussage in eigenstän-
diger Formensprache enthielt, seinen Abbildungen der Wirklichkeit auch Schöpferi-
sches zu eigen war, er also der Kunst sehr nahe kam. Das Gericht hat ihm die Steuer-
freiheit für Kunst zugesprochen, dabei den Tatbestand Kunst aber so definiert, dass