72 | SITZUNGEN
Staaten, durch Rettungsschirme zu stabilisieren, die Gediegenheit ihrer politischen
Struktur und die Stabilität ihrer Finanzsysteme zu festigen. Die These vom Ende des
Staates und des Selbstbestimmungsrechts der Völker ist widerlegt. Sie wirkt jedoch
nach, wenn jetzt die Insolvenz eines Staates diskutiert wird, obwohl jeder weiß, dass
allenfalls eine Resolvenz des Staates — sein Erhalt, nicht sein Untergang — in Betracht
kommt. Auch manche Prognose, die Schwäche einzelner Staaten werde die Ära der
Staatlichkeit beenden und einen Kompetenz- und Legitimationszuwachs für die EU
mit staatsähnlichen Funktionen begründen, hat sich nicht erfüllt. Gegenwärtig
scheint sich die Entwicklung eher umzukehren: Die EU findet verstärkt zusammen
in der Rettung ihrer Mitgliedstaaten — und das zu Recht.
Allerdings verschieben diese Rettungsaktionen die Probleme mehr, als dass sie
das Grundproblem lösen: Die Zinslasten werden gesenkt, die Staatsschulden aber
kreditfinanziert erhöht. Der Schuldner wird durch den Bürgen ersetzt. Die Finanz-
lasten wandern von den Schuldenstaaten zu Rettungsfonds und EZB. Private Geld-
geber drängen in die Rechtsstellung der Gläubigerstaaten. Das alte Recht, insbeson-
dere seine Schuldenbremsen werden missachtet, neues Recht der Schuldenbremsen
im Fiskalpakt versprochen. EU und Mitgliedstaaten verzichten zähneknirschend auf
eine Anpassung des EU-Rechts, weil im Einstimmigkeitsprinzip jeder Mitgliedstaat
das Signal auf Halt stellen kann, verschieben deshalb die Entscheidungen auf Regie-
rungschefs und Nebenorgane außerhalb der EU, lassen so Sonderrecht entstehen,
das die Qualität als Völkerrecht staatsrechtlich und demokratisch kaum verdient. Wir
stehen vor der dramatischen Frage, ob wir diese Ausgleichszahlungen neben und
gegen das EU-Recht als Ubergangsphänomen organisieren und begrenzen können,
ob ein System fremdfinanzierter Finanzschwache die Union insgesamt gefährdet, ob
kreditfinanzierte Finanzhilfen in der Unmerklichkeit ihrer Last die demokratische
Kontrolle außer Kraft setzen und immer mehr politische Macht auf den Finanzmarkt
übertragen.
Letztlich werden wir der Kernfrage nicht ausweichen können, ob der Kredit
überhaupt als Regelfinanzierung für Staaten und den Staatenverbund zur Verfügung
steht, weil der Staat eine Kreditsumme nicht — wie ein Unternehmer — ertragbrin-
gend investieren und dann aus den Zusatzgewinnen die Kreditschuld erfüllen kann,
der Staat die Kreditsumme vielmehr zur Erfüllung staatlicher Aufgaben — in der
Regel konsumierend — einsetzt. Das Problem der Staatsverschuldung skizziert eine
Zahl: Deutschland hat in der Zeit von 1950 bis 2008 1,6 Billionen Staatsschulden
aufgenommen, in der gleichen Zeit 1,5 Billionen Zinsen gezahlt. Der Staatskredit
mag kurzfristig Liquidität vermitteln, schwächt langfristig die Liquidität und Finanz-
autonomie der Staaten. Die Zinsen des staatlichen Darlehens werden bedient, die
Schulden bleiben und steigen. Der deutsche verfassungsändernde Gesetzgeber hat
daraus 2009 die Folgerung gezogen und Bund und Länder zu ausgeglichenen Haus-
halten grundsätzlich ohne Verschuldung verpflichtet.
Ein freiheitliches, demokratisches Recht versteht dieses Verschuldensübermaß
in der Perspektive der betroffenen Menschen, der gewaltunterworfenen Bürger.
Diese beobachten, dass der Zug der Integration in schneller Fahrt auf einen nicht-
benannten Zielbahnhof zusteuert, dass Haltepunkte, an denen der Zug Werte auf-
Staaten, durch Rettungsschirme zu stabilisieren, die Gediegenheit ihrer politischen
Struktur und die Stabilität ihrer Finanzsysteme zu festigen. Die These vom Ende des
Staates und des Selbstbestimmungsrechts der Völker ist widerlegt. Sie wirkt jedoch
nach, wenn jetzt die Insolvenz eines Staates diskutiert wird, obwohl jeder weiß, dass
allenfalls eine Resolvenz des Staates — sein Erhalt, nicht sein Untergang — in Betracht
kommt. Auch manche Prognose, die Schwäche einzelner Staaten werde die Ära der
Staatlichkeit beenden und einen Kompetenz- und Legitimationszuwachs für die EU
mit staatsähnlichen Funktionen begründen, hat sich nicht erfüllt. Gegenwärtig
scheint sich die Entwicklung eher umzukehren: Die EU findet verstärkt zusammen
in der Rettung ihrer Mitgliedstaaten — und das zu Recht.
Allerdings verschieben diese Rettungsaktionen die Probleme mehr, als dass sie
das Grundproblem lösen: Die Zinslasten werden gesenkt, die Staatsschulden aber
kreditfinanziert erhöht. Der Schuldner wird durch den Bürgen ersetzt. Die Finanz-
lasten wandern von den Schuldenstaaten zu Rettungsfonds und EZB. Private Geld-
geber drängen in die Rechtsstellung der Gläubigerstaaten. Das alte Recht, insbeson-
dere seine Schuldenbremsen werden missachtet, neues Recht der Schuldenbremsen
im Fiskalpakt versprochen. EU und Mitgliedstaaten verzichten zähneknirschend auf
eine Anpassung des EU-Rechts, weil im Einstimmigkeitsprinzip jeder Mitgliedstaat
das Signal auf Halt stellen kann, verschieben deshalb die Entscheidungen auf Regie-
rungschefs und Nebenorgane außerhalb der EU, lassen so Sonderrecht entstehen,
das die Qualität als Völkerrecht staatsrechtlich und demokratisch kaum verdient. Wir
stehen vor der dramatischen Frage, ob wir diese Ausgleichszahlungen neben und
gegen das EU-Recht als Ubergangsphänomen organisieren und begrenzen können,
ob ein System fremdfinanzierter Finanzschwache die Union insgesamt gefährdet, ob
kreditfinanzierte Finanzhilfen in der Unmerklichkeit ihrer Last die demokratische
Kontrolle außer Kraft setzen und immer mehr politische Macht auf den Finanzmarkt
übertragen.
Letztlich werden wir der Kernfrage nicht ausweichen können, ob der Kredit
überhaupt als Regelfinanzierung für Staaten und den Staatenverbund zur Verfügung
steht, weil der Staat eine Kreditsumme nicht — wie ein Unternehmer — ertragbrin-
gend investieren und dann aus den Zusatzgewinnen die Kreditschuld erfüllen kann,
der Staat die Kreditsumme vielmehr zur Erfüllung staatlicher Aufgaben — in der
Regel konsumierend — einsetzt. Das Problem der Staatsverschuldung skizziert eine
Zahl: Deutschland hat in der Zeit von 1950 bis 2008 1,6 Billionen Staatsschulden
aufgenommen, in der gleichen Zeit 1,5 Billionen Zinsen gezahlt. Der Staatskredit
mag kurzfristig Liquidität vermitteln, schwächt langfristig die Liquidität und Finanz-
autonomie der Staaten. Die Zinsen des staatlichen Darlehens werden bedient, die
Schulden bleiben und steigen. Der deutsche verfassungsändernde Gesetzgeber hat
daraus 2009 die Folgerung gezogen und Bund und Länder zu ausgeglichenen Haus-
halten grundsätzlich ohne Verschuldung verpflichtet.
Ein freiheitliches, demokratisches Recht versteht dieses Verschuldensübermaß
in der Perspektive der betroffenen Menschen, der gewaltunterworfenen Bürger.
Diese beobachten, dass der Zug der Integration in schneller Fahrt auf einen nicht-
benannten Zielbahnhof zusteuert, dass Haltepunkte, an denen der Zug Werte auf-