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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2013 — 2014

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I. Das akademische Jahr 2013
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Gesamtsitzung am 26. Januar 2013
DOI Artikel:
Kielmansegg, Peter: Die Gefährdung des europäischen Projektes
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https://doi.org/10.11588/diglit.55655#0048
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26. Januar 2013

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II. Das Problem der Staatsschulden
Bürger und Unionsbürger erwarten von öffentlichen Haushalten höhere Leistungen,
aber niedrigere Steuern. Der Staat weicht deshalb in die Staatsverschuldung aus, muss
bei stetig wachsender Verschuldung grundsätzlich immer höhere Zinsverpflichtun-
gen erfüllen, zahlt dann einen „politischen“ Preis für niedrigere Zinsen. Schließlich
drängen die Gläubiger auf eine gemeinsame Haftung aller Mitgliedstaaten des Euro-
Verbundes, gefährden damit das Budgetrecht der staatlichen Parlamente, die demo-
kratische Elementarlegitimation durch das Staatsvolk, und die bisher als selbstver-
ständlich geltende Gleichheitserwartung der Steuerzahler, der Staat werde das gesam-
te Steueraufkommen an die Allgemeinheit des Staatsvolkes zurückgeben. Der Staat
gerät immer mehr in Abhängigkeit vom Finanzmarkt. Die Staaten — und damit die
Europäische Union — verlieren ein Stück ihrer Souveränität.
Diese Staatsverschuldung ist nicht notwendige Folge einer Finanznot.
Deutschland hat in seiner dramatischen Finanzkrise von 1949 bis Mitte der 60er ein
„Wirtschaftswunder“ geschaffen, dabei kaum Staatsschulden aufgenommen, wohl
aber einen „Juliusturm“ errichtet, der als Rücklage für die bevorstehende Wieder-
bewaffnung dienen sollte, dann allerdings Begehrlichkeiten der Finanzpolitik nicht
standhalten konnte und 1959 aufgelöst worden ist. Noch 1971 trat Alex Möller vom
Amt des Bundesfinanzministers u.a. mit der Begründung zurück, er wolle eine Neu-
verschuldung von 8 Milliarden DM nicht vertreten, um nicht als „Inflationsminister“
in die Geschichte einzugehen. Diese 8 Milliarden (1971: DM; 2012: Euro) entspre-
chen just den 35 % des BIP, die Art. 115 Abs. 2 Satz 2 GG noch als Nullverschuldung
definiert.
Die Staaten, teilweise auch die Europäische Union, sind in ihren Handlungs-
maßstäben und Verfahrensabläufen, vor allem auch in den verantwortlichen Ent-
scheidern sichtbar und kontrollierbar. Die Akteure des Finanzmarktes — Banken, Ver-
sicherungen, Fonds, Anleger und Spekulanten — verbergen sich in der Anonymität
eines Marktes. Juristische Personen, die nicht von einem Ankeraktionär bestimmt,
sondern von Streubesitzern finanziert werden, verselbständigen Geschäftskonzepte
und Handlungsmittel nach dem Prinzip des ShareholderValue, das die Mitbetroffen-
heit von Arbeitnehmern, Kunden, Umwelt, Region und Kultur fast ausblendet.
Diese verengte Sicht wird zum Handlungsprinzip der juristischen Person, das nicht
einmal durch einen Erbfall in die Verantwortlichkeit natürlicher Personen gewiesen
wird. Eine juristische Person stirbt nicht. Die weltweit tätigen Gesellschaften bestim-
men mit ihren Geschäftsbedingungen und ihren Computersystemen den Zugang
zum Markt, schließen bestimmte Regionen und Völker von ihren Geldkreisläufen
und damit vom Weltmarkt aus, vernetzen sich „systemisch“ und leiten daraus den
Anspruch her, als weltweite Verteiler und Versorger auch bei großen Fehlleistungen
nicht untergehen zu dürfen, deswegen durch Staatsfinanzierung gerettet werden zu
müssen. Hier bahnen sich moderne Formen der Feudalherrschaft an.
In dieser Ausgangslage brauchen wir die Europäische Union als Rechtsge-
meinschaft, als „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ mehr denn je.
Die Union beginnt gegenwärtig vermehrt, ihr eigenes Fundament, ihre Mitglied-
 
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