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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2017 — 2018

DOI Kapitel:
A. Das akademische Jahr 2017
DOI Kapitel:
II. Wissenschaftliche Vorträge
DOI Artikel:
Halfwassen, Jens: Warum ist die negative Theologie für monotheistische Religionen attraktiv?
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https://doi.org/10.11588/diglit.55651#0039
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Jens Halfwassen

außer Gott“, so die Botschaft des Korans. Der Monotheismus setzt den Einen Gott
als den einzigen und einzig wahren Gott gegen die überlieferte Vielheit der Götter,
die in Wahrheit gar keine Götter sind. Damit führt er die „Parmenideische Unter-
scheidung“ von wahr und falsch in die Religion ein, so der Ägyptologe Jan Ass-
mann. Für Parmenides, den größten unter den frühgriechischen Denkern, ist die
Wahrheit nur eine, während es viele falsche Meinungen gibt - die eine Wahrheit
aber ist die Einsicht in die Einheit des Seins.
Der Monotheismus unterscheidet aber nicht nur zwischen wahrer und fal-
scher Religion, sondern vor allem auch zwischen Gott und Welt. Beide Unter-
scheidungen hängen untrennbar zusammen. Denn die Götter des Polytheismus
sind welthafte Götter: Sie sind die bestimmenden Mächte der menschlichen Le-
benswelt, die vom mythologischen Bewusstsein als übermächtig und darum als
göttlich erfahren werden. Der Eine Gott ist dagegen keine lebensweltliche Macht,
sondern er tritt der Welt als ihr Schöpfer und Herr gegenüber. Gott ist übeiweltlich,
oder er ist gar nicht Gott. Darum wendet sich die „Mosaische Unterscheidung“
nicht allein gegen die Vielzahl der Götter, sondern mehr noch gegen jenen Zug
an ihnen, der sie als Mächte dieser Welt erkennen lässt: ihre Menschengestalt.
Das Bilderverbot der Bibel und des Korans hat genau den Sinn, eine anthro-
pomorphe Gestalt Gottes auszuschließen, die sich im Bild darstellen ließe. Diesen
Zug teilen beide Religionen mit dem Sein des Parmenides, das sich allein dem
reinen Denken zeigt, weil es alle sinnlichen und vorstellbaren Charaktere der irdi-
schen Welt verneint. Bereits Schelling machte die Radikalisierung des Einheitsge-
dankens für das Gewaltpotential der monotheistischen Religionen verantwortlich.
Die griechische Metaphysik enthält aber mit der negativen Theologie zugleich das
Heilmittel gegen dieses Gewaltpotential.
Philosophie ist seit ihrem Anfang bei den Vorsokratikern der Versuch, das
Ganze des Wirklichen oder Seienden zu begreifen, und zwar so, dass dieses Ganze
von einem letzten Grund oder Ursprung her als Einheit in den Blick genommen
wird. Den „Urgrund“ des Ganzen denken schon die frühesten Philosophen als
„das Göttliche“. Das führt konsequenteiweise zu einem philosophischen Mono-
theismus: Xenophanes erklärte noch im sechsten Jahrhundert vor Christus die
anthropomorphen Götter des Polytheismus für Produkte der mythenbildenden
Einbildungskraft. Seine Konsequenz war aber alles andere als atheistisch. Gegen
die bloß eingebildeten Götter des Mythos setzte er den einen wahren Gott, der
ganz anders ist als alle menschlichen Vorstellungen und der genau darum dem
Projektionsverdacht nicht ausgesetzt ist.
Platon nimmt das auf, geht aber noch einen entscheidenden Schritt darüber
hinaus. Er denkt als Erster den Urgrund, das Eine, in seiner Absolutheit: nicht
mehr nur als die Verneinung der Charaktere der endlichen und veränderlichen
Welt, sondern als die Verneinung aller überhaupt denkbaren Bestimmungen, also
auch des wahren Seins und des wahren Geistes. Diese Verneinung muss nun aller-

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