II. Wissenschaftliche Vorträge
dings in einem ganz besonderen Sinne aufgefasst werden. Sie meint keinen Man-
gel, dem Absoluten fehlt nicht das, was ihm abgesprochen wird, sondern es geht
darum, dass der absolute Grund über alles hinaus ist, was er selbst erst ermöglicht.
Platon sagt, das Eine sei kein Seiendes, sondern sogar „noch jenseits des Seins“.
Das ist kein Nihilismus, es bedeutet nicht, dass das Absolute nicht wirklich wäre.
Darum ist die Negation die einzige Form, in der wir überhaupt über das Absolute
sprechen können.
Platons negative Theologie löst die Parmenideische Gleichsetzung des Einen
mit dem Sein. Vielheit und Differenz werden damit als Bestimmungen des Seins
wieder denkbar. Platon bildet mit seiner Ideenlehre eine Ontologie aus, die meh-
rere Stufen des Seins unterscheidet. Die höchste Form des Seins ist für Platon ein
göttlicher Geist, der in den Ideen, den reinen Formen des Seins, sich selbst denkt
und zugleich die erscheinende Welt als ihr Schöpfer begründet. Der Platonismus
bildet also auch eine affirmative Theologie des göttlichen Geistes aus. Aber sie
bleibt, mit Platon gesprochen, „im Vorhof des Einen“. Sie betrifft das Absolute in
seiner Transzendenz nicht.
Bibel und Koran formulieren mit dem Bilderverbot die Absage an das anthro-
pomorphe Gottesbild des mythologischen Polytheismus. Aber sowohl die Bibel
als auch der Koran reden doch über weite Passagen von Gott genauso sinnlich und
leibhaftig, wie ein Homer von Zeus geredet hatte. Sie sprechen von Gottes Augen,
seinem Mund, seinem Herzen und seiner Hand, sie schreiben ihm Emotionen
wie Zorn, Freude oder Reue zu, lokalisieren ihn im Himmel, auf Berggipfeln oder
im brennenden Dornenbusch. Diese mythologische Redeweise ist theologisch ein
Ärgernis, weil sie dem Monotheismus widerspricht. Der einzige antike Monothe-
ismus, der eine Grundsatzkritik am Mythos formuliert und eine von mythischer
Rede gereinigte Theologie ausgebildet hat, ist der Monotheismus der griechischen
Metaphysik.
Die abrahamitischen Religionen waren auf ihre Rezeption angewiesen, um
ihren eigenen Gottesbegriff theologisch überhaupt formulieren zu können. Erst
diese Rezeption erlaubte es ihnen, die mythologische Redeweise ihrer Heiligen
Schriften so zu interpretieren, dass sie das Bilderverbot nicht de facto durch-
streicht. Denn die griechische Philosophie hatte die Mythen nicht einfach als un-
wahre Märchen verdammt, sondern sie lehrte sie als uneigentliche Redeweise zu
verstehen, indem sie sie allegorisch-symbolisch deutete. Erst die allegorisch-sym-
bolische Umdeutung der anthropomorphen Rede über Gott in Bibel und Koran
macht die Offenbarungstexte überhaupt vereinbar mit der Übeiweltlichkeit Got-
tes und damit akzeptabel für einen philosophisch reflektierten Monotheismus.
Das bedeutet eine gewaltige Relativierung der Autorität der Heiligen Schrif-
ten: nämlich die Lizenz für ihre freie Deutung. Doch das war und ist der Preis,
den die abrahamitischen Religionen zahlen müssen, um sich vor der Absurdität
zu bewahren, einerseits die Einheit Gottes zu verkünden, von Gott dann aber ge-
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dings in einem ganz besonderen Sinne aufgefasst werden. Sie meint keinen Man-
gel, dem Absoluten fehlt nicht das, was ihm abgesprochen wird, sondern es geht
darum, dass der absolute Grund über alles hinaus ist, was er selbst erst ermöglicht.
Platon sagt, das Eine sei kein Seiendes, sondern sogar „noch jenseits des Seins“.
Das ist kein Nihilismus, es bedeutet nicht, dass das Absolute nicht wirklich wäre.
Darum ist die Negation die einzige Form, in der wir überhaupt über das Absolute
sprechen können.
Platons negative Theologie löst die Parmenideische Gleichsetzung des Einen
mit dem Sein. Vielheit und Differenz werden damit als Bestimmungen des Seins
wieder denkbar. Platon bildet mit seiner Ideenlehre eine Ontologie aus, die meh-
rere Stufen des Seins unterscheidet. Die höchste Form des Seins ist für Platon ein
göttlicher Geist, der in den Ideen, den reinen Formen des Seins, sich selbst denkt
und zugleich die erscheinende Welt als ihr Schöpfer begründet. Der Platonismus
bildet also auch eine affirmative Theologie des göttlichen Geistes aus. Aber sie
bleibt, mit Platon gesprochen, „im Vorhof des Einen“. Sie betrifft das Absolute in
seiner Transzendenz nicht.
Bibel und Koran formulieren mit dem Bilderverbot die Absage an das anthro-
pomorphe Gottesbild des mythologischen Polytheismus. Aber sowohl die Bibel
als auch der Koran reden doch über weite Passagen von Gott genauso sinnlich und
leibhaftig, wie ein Homer von Zeus geredet hatte. Sie sprechen von Gottes Augen,
seinem Mund, seinem Herzen und seiner Hand, sie schreiben ihm Emotionen
wie Zorn, Freude oder Reue zu, lokalisieren ihn im Himmel, auf Berggipfeln oder
im brennenden Dornenbusch. Diese mythologische Redeweise ist theologisch ein
Ärgernis, weil sie dem Monotheismus widerspricht. Der einzige antike Monothe-
ismus, der eine Grundsatzkritik am Mythos formuliert und eine von mythischer
Rede gereinigte Theologie ausgebildet hat, ist der Monotheismus der griechischen
Metaphysik.
Die abrahamitischen Religionen waren auf ihre Rezeption angewiesen, um
ihren eigenen Gottesbegriff theologisch überhaupt formulieren zu können. Erst
diese Rezeption erlaubte es ihnen, die mythologische Redeweise ihrer Heiligen
Schriften so zu interpretieren, dass sie das Bilderverbot nicht de facto durch-
streicht. Denn die griechische Philosophie hatte die Mythen nicht einfach als un-
wahre Märchen verdammt, sondern sie lehrte sie als uneigentliche Redeweise zu
verstehen, indem sie sie allegorisch-symbolisch deutete. Erst die allegorisch-sym-
bolische Umdeutung der anthropomorphen Rede über Gott in Bibel und Koran
macht die Offenbarungstexte überhaupt vereinbar mit der Übeiweltlichkeit Got-
tes und damit akzeptabel für einen philosophisch reflektierten Monotheismus.
Das bedeutet eine gewaltige Relativierung der Autorität der Heiligen Schrif-
ten: nämlich die Lizenz für ihre freie Deutung. Doch das war und ist der Preis,
den die abrahamitischen Religionen zahlen müssen, um sich vor der Absurdität
zu bewahren, einerseits die Einheit Gottes zu verkünden, von Gott dann aber ge-
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