III. Veranstaltungen
eigentlich die Sinnsysteme überfordern. „Zufall ist die Fähigkeit eines Systems,
Ereignisse zu benutzen, die nicht durch das System selbst... produziert und koor-
diniert werden können“. Eben dadurch ,lernt’ das System, sich selbst zu reprodu-
zieren, also autopoietisch zu sein (Luhmann 1997, Bd. I, 450). Damit übernimmt
Luhmann Auffassungen der systemischen Biologie in die Gesellschaftstheorie
(Maturana/Varela). Kein soziales System kann, was es selbst als Zufall wahrnimmt,
vermeiden. Im Gegenteil ist der Zufall wie auch die Störung der Brennstoff von
sozialen Prozessen und Entwicklungen.
Kontingenz heißt für Luhmann (1997) das Verfügen über eine Vielzahl von
Möglichkeiten. Der Zufall befördert die Dynamik und Kreativität von Syste-
men, die ohne Kontingenzherausforderungen sklerotisieren würden. Kontingenz
ist dasjenige, was auch anders möglich ist. Darin steckt ein postmetaphysischer
Realismus, demzufolge alle Sozialformen ohne Substanz, also geschichtlich und
möglich, mithin kontingent sind. Luhmann denkt hier ganz aristotelisch: Alles
was in Gesellschaften beobachtet werden kann, ist weder notwendig noch unmög-
lich („nec impossibile, nec necessarium“). Erst nach der Transformation stratifi-
katorischer (vormoderner) in funktional differenzierte (moderne) Gesellschaften
entsteht eine Kontingenz, die nichts mehr mit Tyche und Fortuna zu tun hat. Kon-
tingenzbewusstsein transformiert Gefahr in Risiko und metaphysische Unverfüg-
barkeit in Selektionsprogramme. Daraus erwächst, jenseits jeder ontologischen
Sicherheit, doch mit Wahrscheinlichkeit die Selbstproduktion sozialer Systeme.
Darum sind Risiko- und Sicherheitsmanagements zu Standardanforderungen an
moderne Gesellschaften geworden.
Paradoxien einer Moderne der Kontingenz
Wie ist es zu dieser beispiellosen Karriere des Begriffs der Kontingenz und des
Zufalls gekommen?
Seit der Aufklärung gehört es zum Selbstverständnis moderner Gesell-
schaften, dass die Rationalisierung der Welt Gewissheiten generiert, welche die
Ordnungen des menschlichen Lebenszyklus, der Natur, der Staaten und der
Gesellschaft stabilisieren sollen. Das ist die Verpflichtung auf Kontingenzbe-
wältigung, die der moderne Staat zu gewährleisten hat. Die gouvernementalen
Regimes, welche die Transformation traditionaler in funktional ausdifferen-
zierte Gesellschaften antrieben, erhöhten jedoch nicht nur den Standard von
Sicherungssystemen, sondern gleichzeitig die Kontingenz. Diese Kontingenz
wurde zur unhintergehbaren Bedingung der Modernisierung erkannt. Kontin-
genz meint, dass Angst und Gefahr, Zufall und Unordnung, Katastrophe und
Unglück, Biographie und Lebensformen, Erfolg und Zufriedenheit nicht mehr
durch unverfügbare Ordnungen gerahmt sind. Diese Rahmenlosigkeit gilt un-
erbittlich - Georg Lukäcs nennt sie „transzendentale Obdachlosigkeit“, Anthony
122
eigentlich die Sinnsysteme überfordern. „Zufall ist die Fähigkeit eines Systems,
Ereignisse zu benutzen, die nicht durch das System selbst... produziert und koor-
diniert werden können“. Eben dadurch ,lernt’ das System, sich selbst zu reprodu-
zieren, also autopoietisch zu sein (Luhmann 1997, Bd. I, 450). Damit übernimmt
Luhmann Auffassungen der systemischen Biologie in die Gesellschaftstheorie
(Maturana/Varela). Kein soziales System kann, was es selbst als Zufall wahrnimmt,
vermeiden. Im Gegenteil ist der Zufall wie auch die Störung der Brennstoff von
sozialen Prozessen und Entwicklungen.
Kontingenz heißt für Luhmann (1997) das Verfügen über eine Vielzahl von
Möglichkeiten. Der Zufall befördert die Dynamik und Kreativität von Syste-
men, die ohne Kontingenzherausforderungen sklerotisieren würden. Kontingenz
ist dasjenige, was auch anders möglich ist. Darin steckt ein postmetaphysischer
Realismus, demzufolge alle Sozialformen ohne Substanz, also geschichtlich und
möglich, mithin kontingent sind. Luhmann denkt hier ganz aristotelisch: Alles
was in Gesellschaften beobachtet werden kann, ist weder notwendig noch unmög-
lich („nec impossibile, nec necessarium“). Erst nach der Transformation stratifi-
katorischer (vormoderner) in funktional differenzierte (moderne) Gesellschaften
entsteht eine Kontingenz, die nichts mehr mit Tyche und Fortuna zu tun hat. Kon-
tingenzbewusstsein transformiert Gefahr in Risiko und metaphysische Unverfüg-
barkeit in Selektionsprogramme. Daraus erwächst, jenseits jeder ontologischen
Sicherheit, doch mit Wahrscheinlichkeit die Selbstproduktion sozialer Systeme.
Darum sind Risiko- und Sicherheitsmanagements zu Standardanforderungen an
moderne Gesellschaften geworden.
Paradoxien einer Moderne der Kontingenz
Wie ist es zu dieser beispiellosen Karriere des Begriffs der Kontingenz und des
Zufalls gekommen?
Seit der Aufklärung gehört es zum Selbstverständnis moderner Gesell-
schaften, dass die Rationalisierung der Welt Gewissheiten generiert, welche die
Ordnungen des menschlichen Lebenszyklus, der Natur, der Staaten und der
Gesellschaft stabilisieren sollen. Das ist die Verpflichtung auf Kontingenzbe-
wältigung, die der moderne Staat zu gewährleisten hat. Die gouvernementalen
Regimes, welche die Transformation traditionaler in funktional ausdifferen-
zierte Gesellschaften antrieben, erhöhten jedoch nicht nur den Standard von
Sicherungssystemen, sondern gleichzeitig die Kontingenz. Diese Kontingenz
wurde zur unhintergehbaren Bedingung der Modernisierung erkannt. Kontin-
genz meint, dass Angst und Gefahr, Zufall und Unordnung, Katastrophe und
Unglück, Biographie und Lebensformen, Erfolg und Zufriedenheit nicht mehr
durch unverfügbare Ordnungen gerahmt sind. Diese Rahmenlosigkeit gilt un-
erbittlich - Georg Lukäcs nennt sie „transzendentale Obdachlosigkeit“, Anthony
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