Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2019 — 2020

DOI Kapitel:
B. Die Mitglieder
DOI Kapitel:
I. Antrittsreden
DOI Kapitel:
Cornelia Ruhe
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55176#0169
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Antrittsrede von Cornelia Ruhe

Australien. Nach dem Abitur in Würzburg bin ich entsprechend einer Forderung
meiner Eltern nicht nur aus-, sondern weggezogen. Auch wenn die Wahl völlig
evident war, so erschien es mir in Anbetracht der Familiengeschichte doch ein
wenig langweilig, einfach nur französisch zu studieren. Weil diese Literatur mich
auch besonders interessierte, habe ich darüber hinaus ein Studium des Russischen
aufgenommen - da sich erwies, dass diese Kombination fürs Lehramt nur mach-
bar war, wenn man auch Englisch studierte, kam auch das noch hinzu, was mir
im Übrigen sehr entgegenkam. Das Russische erwies sich zu meiner Empörung
als eine ausgesprochen widerspenstige Sprache, die mir nicht einfach zufiel, son-
dern für die ich tatsächlich arbeiten musste. Fast hätte ich in den ersten Semestern
das Handtuch geworfen, wären da nicht die anderen Studierenden gewesen. Wir
waren sehr wenige in der Slavistik, dafür fanden sich hier oft die besonders inte-
ressierten und engagierten Studierenden. Auch die Aufenthalte in Russland, der
Ukraine und Usbekistan haben mich darin bestärkt, weiter zu machen.
Nach zwei Jahren in Regensburg war es dann Zeit, aus Bayern herauszu-
kommen, wie ich fand. Eine kleine Uni sollte es sein, alle meine Fächer mussten
vertreten sein, und der Mann, mit dem ich diese Entscheidung traf - der spätere
Lotman-Referent -, fand, es müsste nicht allzu weit in den Norden führen. Nach
einem intensiven Studium der Vorlesungsverzeichnisse verschiedener Unis fiel
die Wahl auf Konstanz und das war in jeder Hinsicht ein Glücksfall. Hier, an der
geographischen Peripherie des Landes, aber dem Selbstverständnis nach in seinem
wissenschaftlichen Zentrum, fanden sich in allen drei Fächern und auf allen Ebe-
nen der institutionellen Hierarchie in hohem Maße anregende Dozentinnen und
Dozenten - von denen eine ganze Reihe, wie etwa Renate Lachmann, Karlheinz
Stierle und Schamma Schahadat Mitglieder der Akademie sind - und auch eben
solche Studierende. Es gab komparatistische Seminare, es gab eine Medienwissen-
schaft, vor allem aber gab es ein umfangreiches Programm an Workshops, Tagun-
gen und anderen wissenschaftlichen Veranstaltungen, an denen auch interessierte
Studierende dringend angehalten waren, teilzunehmen. Meiner regen Teilnahme
an vielen dieser Veranstaltungen war mit Sicherheit auch die Tatsache förderlich,
dass Konstanz sonst nicht sehr viel zu bieten hatte - außer einem kommunalen
Kino, in dem ich dann entsprechend auch viele Jahre ehrenamtlich tätig war und
das mir, neben ebenso wertvollen wie heute obsoleten Fähigkeiten wie etwa dem
Kleben, Schneiden und Vorführen von 35-mm-Filmen, auch beigebracht hat, wie
man schier endlose Sitzungen mit nicht immer zielführenden Diskussionen wohl-
behalten übersteht - eine Fertigkeit, die sich nicht zuletzt an der Uni als überaus
nützlich erweist.
Diese Studienzeit, die ganzen fast fünfzehn Jahre am Bodensee habe ich in-
tellektuell in großartiger Erinnerung. Ich habe mein Studium zügig abgeschlossen,
bin sur le tard noch in die Studienstiftung aufgenommen worden, die es mir dann
dank eines Promotionsstipendiums auch erlaubt hat, in aller Ruhe und Konzentra-

169
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften