III. Veranstaltungen
das Bewusstsein als „Gespräch der Seele mit sich selbst“ versteht.8 Denn damit ist
unterstellt, dass ein innerer Dialog zwischen Ich und Mich stattfindct, der zu den
Voraussetzungen des sozialen Umgangs mit seinesgleichen gehört.
Tatsächlich reicht der Hinweis auf den Gesprächscharakter des Selbstverhält-
nisses bereits aus, weil schon dadurch klar ist, dass sich der Einzelne sogar im
Umgang mit sich selbst einer Sprache bedient, die bereits gesprochen wurde, als er
das Sprechen und das allgemein verständliche Denken lernte.
Immanuel Kant, dem man gelegentlich ein „monologisches“ Modell des Er-
kenntnisgeschehens unterstellt,9 10 11 wird 1794 von einem seiner aufmerksamsten
Schüler, dem in Halle lehrenden Philosophen Jacob Sigismund Beck, gefragt, wo-
rin denn nun der letztlich entscheidende Akt der „transzendentalen Erkenntnis“
liege, von der Kant wiederholt gesagt hatte, dass sie die Gegenstände „mache“."’
Kant zögert nicht und gibt dem geschätzten Fragesteller die Antwort mit einem
einzigen Wort: „commimicatio“, das wir mit Verständigung übersetzen können.” Da-
mit bleibt Kant in seiner kritischen Theorie nahe am ursprünglichen Sinn von
„Verstand“ und „verstehen“: Erkennen heißt somit auch nach Kant nicht mehr und
nicht weniger, als etwas verständlich machen zu können.
Als Friedrich Nietzsche, der von Jaspers in seinem Wahrheitsbuch zusammen mit
Platon und Kant am häufigsten zitierte Philosoph, nach Abschluss seines Zara-
thustra noch eine Ergänzung zur Fröhlichen Wissenschaft schrieb, die er nachträglich
dem Buch als fünften Teil anfügte, gehörte dazu auch der Aphorismus 354, den der
Nietzsche-Interpret Karl Jaspers gut kannte und mit Nachdruck behandelt hat. So
zitiert er unter Beibehaltung der von Nietzsche vorgenommenen Hervorhebun-
gen: „Die Feinheit und Stärke des Bewußtseins scheint immer im Verhältnis zur
Mitteilungsfähigkeit eines Menschen zu stehen, die Mitteilungsfähigkeit wiederum
im Verhältnis zur Mitteilungbedürftigkeit“.12
Nietzsche nimmt an, das Bewusstsein der Menschen habe sich „überhaupt
nur unter dem Druck des Mittheilungs-Bedürfnisses entwickelt“.13 Und von die-
ser so entstandenen Fassung des menschlichen Bewusstseins schreibt er, sie sei
eigentlich nur ein „Verbindungsnetz zwischen Mensch und Mensch“. „Denken“
nennt Nietzsche eine Abfolge von „Mittheilungszeichen“,14 mit der pragmati-
schen Folge, dass dieses „Verbindungsnetz“ den Menschen wechselseitig „Hülfe“
8 Platon, Theaitetos (190a) und Sophistes (263e).
9 So als könnte jemand, der „Ich denke“ sagt, vergessen, dass es ein „Du“ gibt, und dabei nicht
daran denkt, dass jedes „Ich“ stets mit einem „Du“ angeredet werden kann.
10 Kant, Kritik der reinen Vernunft, 1787, B 132 - 138.
11 Bnefv. 1. Juli 1794 (AA 11, 515).
12 Siehe dazu: Jaspers, Nietzsche, 1936, S. 399.
13 FW 354; KSA 3, 591.
14 Ebd., 591 u. 592.
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das Bewusstsein als „Gespräch der Seele mit sich selbst“ versteht.8 Denn damit ist
unterstellt, dass ein innerer Dialog zwischen Ich und Mich stattfindct, der zu den
Voraussetzungen des sozialen Umgangs mit seinesgleichen gehört.
Tatsächlich reicht der Hinweis auf den Gesprächscharakter des Selbstverhält-
nisses bereits aus, weil schon dadurch klar ist, dass sich der Einzelne sogar im
Umgang mit sich selbst einer Sprache bedient, die bereits gesprochen wurde, als er
das Sprechen und das allgemein verständliche Denken lernte.
Immanuel Kant, dem man gelegentlich ein „monologisches“ Modell des Er-
kenntnisgeschehens unterstellt,9 10 11 wird 1794 von einem seiner aufmerksamsten
Schüler, dem in Halle lehrenden Philosophen Jacob Sigismund Beck, gefragt, wo-
rin denn nun der letztlich entscheidende Akt der „transzendentalen Erkenntnis“
liege, von der Kant wiederholt gesagt hatte, dass sie die Gegenstände „mache“."’
Kant zögert nicht und gibt dem geschätzten Fragesteller die Antwort mit einem
einzigen Wort: „commimicatio“, das wir mit Verständigung übersetzen können.” Da-
mit bleibt Kant in seiner kritischen Theorie nahe am ursprünglichen Sinn von
„Verstand“ und „verstehen“: Erkennen heißt somit auch nach Kant nicht mehr und
nicht weniger, als etwas verständlich machen zu können.
Als Friedrich Nietzsche, der von Jaspers in seinem Wahrheitsbuch zusammen mit
Platon und Kant am häufigsten zitierte Philosoph, nach Abschluss seines Zara-
thustra noch eine Ergänzung zur Fröhlichen Wissenschaft schrieb, die er nachträglich
dem Buch als fünften Teil anfügte, gehörte dazu auch der Aphorismus 354, den der
Nietzsche-Interpret Karl Jaspers gut kannte und mit Nachdruck behandelt hat. So
zitiert er unter Beibehaltung der von Nietzsche vorgenommenen Hervorhebun-
gen: „Die Feinheit und Stärke des Bewußtseins scheint immer im Verhältnis zur
Mitteilungsfähigkeit eines Menschen zu stehen, die Mitteilungsfähigkeit wiederum
im Verhältnis zur Mitteilungbedürftigkeit“.12
Nietzsche nimmt an, das Bewusstsein der Menschen habe sich „überhaupt
nur unter dem Druck des Mittheilungs-Bedürfnisses entwickelt“.13 Und von die-
ser so entstandenen Fassung des menschlichen Bewusstseins schreibt er, sie sei
eigentlich nur ein „Verbindungsnetz zwischen Mensch und Mensch“. „Denken“
nennt Nietzsche eine Abfolge von „Mittheilungszeichen“,14 mit der pragmati-
schen Folge, dass dieses „Verbindungsnetz“ den Menschen wechselseitig „Hülfe“
8 Platon, Theaitetos (190a) und Sophistes (263e).
9 So als könnte jemand, der „Ich denke“ sagt, vergessen, dass es ein „Du“ gibt, und dabei nicht
daran denkt, dass jedes „Ich“ stets mit einem „Du“ angeredet werden kann.
10 Kant, Kritik der reinen Vernunft, 1787, B 132 - 138.
11 Bnefv. 1. Juli 1794 (AA 11, 515).
12 Siehe dazu: Jaspers, Nietzsche, 1936, S. 399.
13 FW 354; KSA 3, 591.
14 Ebd., 591 u. 592.
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