Festvortrag von Prof. Dr. Volker Gerhardt
6. Das Interesse an der Wahrheit. Mehr gibt es hier gar nicht zu erläutern! Es ge-
nügt die Tatsache des Zusammenhangs von Bewusstsein und Mitteilung, von der es nur
noch einzusehen gilt, dass auch die Wahrheit als drittes Moment, neben dem Akt
der Mitteilung und der logischen Notwendigkeit, zu dieser zwingenden Verbindung
gehört. Und das steht dadurch außer Zweifel, dass erst die Wahrheit den gemein-
samen Sach-, Situations- und Problembezug garantiert. Sie verleiht einer Mitteilung die
Welthaltigkeit, das soziale Gewicht und ihre existenzielle Bedeutung.
Demnach stehen Erkenntnis, Mitteilung und Wahrheit in einer Verbindung, die
so fest gefügt erscheint, dass sie nur analytisch in ihre Komponenten auflösbar ist.
Denn was will ich erkannt haben, wenn es gar keinen dazu passenden Sachverhalt
gibt? Auch von Wahrheit oder Mitteilung kann dann keine Rede sein.
Gewiss, auch ein Irrtum kann interessant sein, und Lügen werden unablässig
aufgetischt. Tatsächlich hat das kommunikative Geschehen viele prekäre oder fri-
vole Aspekte, die gewiss nicht alle sinnlos sind, manchen Aufschluss bieten und
durchaus unterhaltsam sein können. Aber sobald es um ernsthafte Verständigung
(über etwas, das den Ernst lohnt) geht, haben wir uns einzugestehen, dass Erkennt-
nis im menschlichen Zusammenhang, allein aus Gründen ihres Sachgehalts und ih-
rer epistemischen Sicherung, auf Mitteilung angelegt und auf Wahrheit schon deshalb
angewiesen ist, weil sie anders ihren Wert als Erkenntnis verliert.
So schließt sich der Kreis auf einfache Weise, und er wird in seiner Verbind-
lichkeit nicht dadurch brüchig, dass mit der Diversifizierung der gesellschaftlichen
Kommunikation alle Spielarten des fiktionalen und des kriminellen, aber auch des
ahnungslosen Umgangs mit dieser das menschliche Leben tragenden Grundfunk-
tion des Wissens möglich sind.7
Erkenntnis trägt die in sich bereits mit Geist aufgeladene Sachhaltigkeit des
menschlichen Umgangs mit der Welt. Sie ermöglicht die objektive Kooperation über
größere Entfernungen und Zeiträume, ja, sogar über Generationen hinweg. Und sie er-
laubt es, über das bloße Sprechen hinaus, auch Versprechen zu geben und Verantwor-
tung zu tragen. Dadurch ist angedeutet, dass auch die Moral und das Recht auf der
elementaren, ursprünglich sozialen Verfassung des Bewusstseins beruhen.
7. Soziomorphie bei Platon, Kant und Nietzsche. Die philosophiegeschichtliche
Bedeutung, die mit der hier nur angedeuteten sozialen Einbindung des Bewusst-
seins verbunden ist, könnte als befremdlich angesehen werden, wenn wir die heute
verbreitete Rede von der ursprünglichen Subjektivität des Bewusstseins als herrschen-
de Meinung ansehen. Hier haben sowohl der neuzeitliche Skeptizismus in der
Nachfolge Descartes’ und Humes, aber auch idealistische Abstraktionen, wie sie
bei Fichte und in Spielarten der Phänomenologie verbreitet sind, eine Rolle ge-
spielt. Aber sie sind längst relativiert, wenn wir uns nur daran erinnern, dass Platon
7 Ich verweise auf Band II von Jaspers Philosophie (1932; 3, Aufl. Berlin 1956), 50 - 117.
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6. Das Interesse an der Wahrheit. Mehr gibt es hier gar nicht zu erläutern! Es ge-
nügt die Tatsache des Zusammenhangs von Bewusstsein und Mitteilung, von der es nur
noch einzusehen gilt, dass auch die Wahrheit als drittes Moment, neben dem Akt
der Mitteilung und der logischen Notwendigkeit, zu dieser zwingenden Verbindung
gehört. Und das steht dadurch außer Zweifel, dass erst die Wahrheit den gemein-
samen Sach-, Situations- und Problembezug garantiert. Sie verleiht einer Mitteilung die
Welthaltigkeit, das soziale Gewicht und ihre existenzielle Bedeutung.
Demnach stehen Erkenntnis, Mitteilung und Wahrheit in einer Verbindung, die
so fest gefügt erscheint, dass sie nur analytisch in ihre Komponenten auflösbar ist.
Denn was will ich erkannt haben, wenn es gar keinen dazu passenden Sachverhalt
gibt? Auch von Wahrheit oder Mitteilung kann dann keine Rede sein.
Gewiss, auch ein Irrtum kann interessant sein, und Lügen werden unablässig
aufgetischt. Tatsächlich hat das kommunikative Geschehen viele prekäre oder fri-
vole Aspekte, die gewiss nicht alle sinnlos sind, manchen Aufschluss bieten und
durchaus unterhaltsam sein können. Aber sobald es um ernsthafte Verständigung
(über etwas, das den Ernst lohnt) geht, haben wir uns einzugestehen, dass Erkennt-
nis im menschlichen Zusammenhang, allein aus Gründen ihres Sachgehalts und ih-
rer epistemischen Sicherung, auf Mitteilung angelegt und auf Wahrheit schon deshalb
angewiesen ist, weil sie anders ihren Wert als Erkenntnis verliert.
So schließt sich der Kreis auf einfache Weise, und er wird in seiner Verbind-
lichkeit nicht dadurch brüchig, dass mit der Diversifizierung der gesellschaftlichen
Kommunikation alle Spielarten des fiktionalen und des kriminellen, aber auch des
ahnungslosen Umgangs mit dieser das menschliche Leben tragenden Grundfunk-
tion des Wissens möglich sind.7
Erkenntnis trägt die in sich bereits mit Geist aufgeladene Sachhaltigkeit des
menschlichen Umgangs mit der Welt. Sie ermöglicht die objektive Kooperation über
größere Entfernungen und Zeiträume, ja, sogar über Generationen hinweg. Und sie er-
laubt es, über das bloße Sprechen hinaus, auch Versprechen zu geben und Verantwor-
tung zu tragen. Dadurch ist angedeutet, dass auch die Moral und das Recht auf der
elementaren, ursprünglich sozialen Verfassung des Bewusstseins beruhen.
7. Soziomorphie bei Platon, Kant und Nietzsche. Die philosophiegeschichtliche
Bedeutung, die mit der hier nur angedeuteten sozialen Einbindung des Bewusst-
seins verbunden ist, könnte als befremdlich angesehen werden, wenn wir die heute
verbreitete Rede von der ursprünglichen Subjektivität des Bewusstseins als herrschen-
de Meinung ansehen. Hier haben sowohl der neuzeitliche Skeptizismus in der
Nachfolge Descartes’ und Humes, aber auch idealistische Abstraktionen, wie sie
bei Fichte und in Spielarten der Phänomenologie verbreitet sind, eine Rolle ge-
spielt. Aber sie sind längst relativiert, wenn wir uns nur daran erinnern, dass Platon
7 Ich verweise auf Band II von Jaspers Philosophie (1932; 3, Aufl. Berlin 1956), 50 - 117.
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