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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2022 — 2023

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A. Das akademische Jahr 2022
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II. Wissenschaftliche Vorträge
DOI Artikel:
Monyer, Hannah: Erinnerung und Gedächtnis: von Mnemosyne zum NMDA-Rezeptor
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https://doi.org/10.11588/diglit.67410#0050
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II. Wissenschaftliche Vorträge

Hannah Monyer
„Erinnerung und Gedächtnis: Von Mnemosyne zum NMDA-Rezeptor"1
Gesamtsitzung am 22. Januar 2022
Es ist ein langer, entmystifizierender Weg, der uns von Mnemosyne, der Göttin
der Erinnerung in der griechischen Antike, zu einem Protein, dem synaptischen
NMDA-Rezeptor führt, wenn man sich mit dem Thema Erinnerung und Ge-
dächtnis beschäftigt. Die Metaphern, denen wir auf diesem Weg begegnen, legen
Zeugnis ab für die diversen Erklärungsmodelle von Gedächtnis und Vergessen. In
der westlichen Kultur wurde Memoria häufig mit den Spuren eines geschriebenen
oder gedruckten Textes verglichen. Bei Platon (Theaitetos) finden wir die häufig zi-
tierte Metapher, wonach die Erinnerung wie ein in eine Wachstafel hinterlassener
Abdruck sei. Der wächserne Guss in der Seele „kann bei dem einen größer, bei
dem einen kleiner sein, bei dem einen von reinerem Wachs, bei dem andern von
schmutzigerem, auch härter bei einigen und bei andern feuchter“ sein. Auch nach
Aristoteles ist die Erinnerung ein Abdruck „wie wenn man mit einem Ring siegelt“
und er führt das schlechte Gedächtnis bei Kindern und alten Menschen darauf
zurück, dass Sinneseindrücke in der Seele nicht die entsprechende Gedächtnisspur
hinterlassen können, denn „die einen sind nämlich gegenüber der Norm in zu
flüssigem, die andern in zu trockenem Zustand“ (Über Gedächtnis und Erinnerung).
Metaphern wie die der Wachstafel aber auch solche von Orten (z.B. Bekenntnisse
des Augustinus) - Paläste, Gebäude, Lagerhäuser und Höhlen -, in denen Sinnes-
eindrücke, aber auch abstraktes Wissen voneinander getrennt gelagert werden und
somit einen schnellen Zugriff gewähren, gingen als Archetypen in die Gedächtnis-
literatur ein.
In der Antike finden wir auch die ersten Belege der Ars memoriae, d.h. der
Technik, der man sich bediente, um komplexe Texte oder Sachverhalte zu me-
morieren. Nach Cicero ist Simonides von Keos der Erfinder dieser techne, deren
Anwendung die Gedächtnisleistung optimieren sollte. Dabei werden Teile des zu
memorierenden Textes (z.B. einzelne Strophen eines Gedichtes) mit zum Inhalt
passenden Bildern, sog. ,imagines‘, assoziiert und an verschiedenen Plätzen in ei-
nem vertrauten Raum (z.B. Zimmer, Haus, Tempel, öffentlicher Platz) abgelegt.
Das Verräumlichen der Bilder, d.h. ihr Assoziieren mit einem bestimmten Ort,
unterstützt das Abrufen des zu memorierenden Textes, wenn man später in Ge-
danken den Weg, an dem die Bilder abgelegt wurden, zurücklegt.
In der Literatur des Mittelalters finden wir zeitgemäß neue Bilder, die als topoi
für gelagerte Erinnerungen dienen. Die Wachstafeln der Antike wurden durch Co-

1 Der Beitrag erschien in leicht veränderter Form im Katalog zur Ausstellung „Vergessen”, die
2019 im Historischen Museum Frankfurt stattfand.

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