I. Jahresfeier am 21. Mai 2022
„ Verantwortung und das Prinzip von Wissenschaft"
Bericht des Präsidenten
Wie schon im vergangenen Jahr dürfen wir hier in der Alten Aula der Universität
Heidelberg zusammenkommen und gleichzeitig unsere Mitglieder sowie unse-
re Freundinnen und Freunde durch Livestream einbeziehen. Das ist schön. Wir
leben freilich in ungewöhnlichen Zeiten. Die doppelte Herausforderung einer
immer noch schwer kalkulierbaren Pandemie und eines Angriffskriegs mitten in
Europa ergreift unsere Herzen und unsere Köpfe. Wir haben als Heidelberger Aka-
demie der Wissenschaften im Verbund mit der Union der deutschen Akademien
öffentlich unsere Solidarität mit dem ukrainischen Volk bekundet. Wir denken an
die unzähligen Opfer und sind erfüllt von der Hoffnung, dass die Prinzipien von
Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Freiheit den längeren Atem haben werden. Wir
schließen in unsere Solidaritätsadresse ausdrücklich auch diejenigen Kolleginnen
und Kollegen in Russland ein, die derzeit mit ihrer Opposition viel riskieren und
die uns wissenschaftlich verbunden bleiben. Die Gesprächsfäden der Wissenschaft
dürfen nicht abreißen und mögen ein kleines Korrektiv zur Eiseskälte des Kriegs
bilden. Während wir gelernt haben, mit Achtsamkeit und guten Verhaltensregeln
mit der Corona-Pandemie umzugehen, erfüllt uns das Vorausschauen auf künftige
politische Lösungswege derzeit mit Sorge und einer gewissen Ratlosigkeit.
In doppelter Weise haben die letzten beiden Jahre die Wissenschaft in die
Pflicht genommen. Unerwartete Herausforderungen brauchen das besonnene
Querdenken aus wissenschaftlicher Verantwortung. Die Mitglieder der Heidelber-
ger Akademie der Wissenschaften haben vielfältige Verantwortung übernommen,
mit Rat und mit Tat. Wir verstehen uns nicht als Lehrmeister der Öffentlichkeit,
sondern als Teil von ihr. Aktuelle Verunsicherungen sind - davon sind wir fest
überzeugt - nicht durch Aktivismus oder das Vörspiegeln vermeintlicher Sicher-
heiten auszuräumen. Wir als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen
unsere Prinzipien noch deutlicher machen. Dazu gehören die Vielstimmigkeit, das
Ausprobieren auf dem Weg zum Richtigen, die dialektische Kraft zur Selbstkor-
rektur und manchmal auch der Mut zur intellektuellen Bescheidenheit. Dieses
Abwägen ist oft nicht mit der erhofften Komplexitätsreduktion zu vereinen, auch
wenn viele Menschen in Krisen klare Handlungsanleitungen verlangen. Wenn
Wissenschaft Verantwortung übernimmt und dabei ihre Methoden von Wissens-
vermehrung und Erkenntnisfortschritt beachtet, dann muss Wissenschaft auch
ihre Grundprinzipien öffentlich machen: Dazu zählen das Experimentieren, das
tastende Suchen, das oft quälend langsam voranzugehen scheint, das Differenzie-
ren zwischen sicheren Daten und Hypothesen. Die Wissenschaft muss mutig sein
und diese ihre Grundprinzipien transparent machen. Dann wird unsere demokra-
16
„ Verantwortung und das Prinzip von Wissenschaft"
Bericht des Präsidenten
Wie schon im vergangenen Jahr dürfen wir hier in der Alten Aula der Universität
Heidelberg zusammenkommen und gleichzeitig unsere Mitglieder sowie unse-
re Freundinnen und Freunde durch Livestream einbeziehen. Das ist schön. Wir
leben freilich in ungewöhnlichen Zeiten. Die doppelte Herausforderung einer
immer noch schwer kalkulierbaren Pandemie und eines Angriffskriegs mitten in
Europa ergreift unsere Herzen und unsere Köpfe. Wir haben als Heidelberger Aka-
demie der Wissenschaften im Verbund mit der Union der deutschen Akademien
öffentlich unsere Solidarität mit dem ukrainischen Volk bekundet. Wir denken an
die unzähligen Opfer und sind erfüllt von der Hoffnung, dass die Prinzipien von
Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Freiheit den längeren Atem haben werden. Wir
schließen in unsere Solidaritätsadresse ausdrücklich auch diejenigen Kolleginnen
und Kollegen in Russland ein, die derzeit mit ihrer Opposition viel riskieren und
die uns wissenschaftlich verbunden bleiben. Die Gesprächsfäden der Wissenschaft
dürfen nicht abreißen und mögen ein kleines Korrektiv zur Eiseskälte des Kriegs
bilden. Während wir gelernt haben, mit Achtsamkeit und guten Verhaltensregeln
mit der Corona-Pandemie umzugehen, erfüllt uns das Vorausschauen auf künftige
politische Lösungswege derzeit mit Sorge und einer gewissen Ratlosigkeit.
In doppelter Weise haben die letzten beiden Jahre die Wissenschaft in die
Pflicht genommen. Unerwartete Herausforderungen brauchen das besonnene
Querdenken aus wissenschaftlicher Verantwortung. Die Mitglieder der Heidelber-
ger Akademie der Wissenschaften haben vielfältige Verantwortung übernommen,
mit Rat und mit Tat. Wir verstehen uns nicht als Lehrmeister der Öffentlichkeit,
sondern als Teil von ihr. Aktuelle Verunsicherungen sind - davon sind wir fest
überzeugt - nicht durch Aktivismus oder das Vörspiegeln vermeintlicher Sicher-
heiten auszuräumen. Wir als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen
unsere Prinzipien noch deutlicher machen. Dazu gehören die Vielstimmigkeit, das
Ausprobieren auf dem Weg zum Richtigen, die dialektische Kraft zur Selbstkor-
rektur und manchmal auch der Mut zur intellektuellen Bescheidenheit. Dieses
Abwägen ist oft nicht mit der erhofften Komplexitätsreduktion zu vereinen, auch
wenn viele Menschen in Krisen klare Handlungsanleitungen verlangen. Wenn
Wissenschaft Verantwortung übernimmt und dabei ihre Methoden von Wissens-
vermehrung und Erkenntnisfortschritt beachtet, dann muss Wissenschaft auch
ihre Grundprinzipien öffentlich machen: Dazu zählen das Experimentieren, das
tastende Suchen, das oft quälend langsam voranzugehen scheint, das Differenzie-
ren zwischen sicheren Daten und Hypothesen. Die Wissenschaft muss mutig sein
und diese ihre Grundprinzipien transparent machen. Dann wird unsere demokra-
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