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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2023 — 2023(2024)

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Geleitwort von Stephan Harbarth

die markanten Stationen eines solchen Lebens und Wirkens in gebührender
Breite und Tiefe zu würdigen, überstiege die Leistungsgrenzen jedes mehrtägigen
Symposions und endete für jeden, der ein kurzes Geleitwort mit diesem Anspruch
sprechen wollte, in offenkundigem Scheitern, ja in einer Blamage.
Lieber Herr Kirchhof, Sie haben in Ihr eines Leben einfach etwas viel hinein-
gepackt.
Wollte man sich vor der Heidelberger Akademie der Wissenschaften auf
Paul Kirchhofs wissenschaftliches Werk im engeren Sinne begrenzen und dieses
in angemessener Weise in einem Geleitwort würdigen, bliebe das Ergebnis - das
offenkundige Scheitern, ja die Blamage - das gleiche. Wer in Paul Kirchhofs wis-
senschaftliches Werk vordringt, stößt auf unzählige Themenfelder, deren wissen-
schaftliche Betrachtung durch den Jubilar sich bei manchem zum glanzvollen
Schwerpunkt seines Oeuvre erklären ließe, die in der Wahrnehmung des Kirchhof-
schen Gesamtwerks dennoch zurücktreten. Man denke in diesen der Wissenschaft
geweihten Räumen nur etwa an seine Beiträge zur Freiheit der Wissenschaft, so an
seinen Festvortrag anlässlich des 600. Geburtstags der Ruperto Carola.1 Die Wahr-
nehmung der Arbeiten Paul Kirchhofs in den Randbereichen seines Gesamtwerks
leidet freilich nur unter einem einzigen Manko: Dieses Manko sind die Arbeiten
im Zentrum seines Oeuvre.
Aus der Sozialpsychologie bekannt ist der „Kontrast-Effekt", eine kognitive
Verzerrung: Ein schweres Objekt erscheint leicht, wenn es mit einem gewichtige-
ren verglichen wird, ein heller Stern dunkel, wenn er neben noch helleren steht.
Die hellsten Sterne im Zentrum der Kirchhofschen Galaxis sind seine Arbeiten im
Steuerrecht, im Staats-, insbesondere Finanzverfassungsrecht, zum Verfassungs-
staat in Europa, zu den Grundfragen von Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit.
Angesichts von Breite und Tiefe des uns vor Augen stehenden Werks bleibt
mir nach allem nur, Nachsicht dafür zu erbitten, dass ich mich zu Lasten des Ju-
bilars darauf beschränke, das das Gesamtwerk von Paul Kirchhof Verbindende, ja
dieses Tragende zu beschreiben, dies obendrein lückenhaft, verkürzend und ver-
gröbernd.
Die zentrale Konstante in Paul Kirchhofs Werk ist sein Freiheitsverständnis.
In der Mitte seines Werks und Wirkens steht der mit unantastbarer Würde be-
dachte freiheitsberechtigte und freiheitsbefähigte Mensch. Ausgehend vom Prinzip
der „Jedermannsgleichheit in Freiheit", wie es im 18. Jahrhundert zur Herstellung
staatsbürgerlicher Gleichheit gegen die tradierten Privilegien und Sonderrechte ins
Feld geführt wurde, ist die Freiheit des Einzelnen für den Jubilar nie ungebundene
Freiheit, sondern Freiheit im gleichen Anspruch, Freiheit in Gemeinschaft mit
anderen ebenso Freien.

1 Kirchhof, Wissenschaft in verfaßter Freiheit, Festvortrag beim Festakt aus Anlaß der 600. Wie-
derkehr des Gründungstages der Universität Heidelberg, 1986.

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