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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0044
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40 | 2. Analyse des Forschungsstands
2.2. Die Consuetudinesforschung
Neben einer intensiven Beschäftigung mit den Memorialquellen wurde auch bald
schon über den zweiten großen Pfeiler der »Reformforschung« - die Consuetu-
dines - kontrovers diskutiert. Im Zentrum der Consuetudinesforschung stand die
Frage nach Geltung und Funktion dieser Texte.
Für Hallinger bestand kein Zweifel daran, dass Consuetudines einen klar
normativ präskriptiven Charakter besaßen.108 Gegen diese Ansicht sprachen sich
jedoch schon früh Wollasch, Jean Leclercq und Giles Constable aus und pos-
tulierten einen eher normativ deskriptiven Charakter dieser Texte.109 Ab den 1990er
Jahren befasste sich dann die deutsche Forschung im Zusammenhang mit der Fra-
ge nach pragmatischer Schriftlichkeit intensiver mit diesem Themenbereich.110 Im
Mittelpunkt stand hier vor allem der Zusammenhang zwischen Consuetudines und
»Klosterreformen«. Klaus Schreiner, Wollasch und zuletzt auch Steffen Pat-
zold wiesen darauf hin, dass Klöster, die ein und derselben »Reformbewegung«
angehörten, mitunter beträchtliche Unterschiede in ihren Gewohnheiten aufweisen
konnten, was darauf schließen lasse, dass diese Gemeinschaften bei der Umsetzung
der von außen empfangenen Gewohnheiten große Spielräume besaßen.111 Wol-
lasch forderte daher, dass sich die Forscher »nicht auf einen Vergleich der einzel-
nen Consuetudines in ihren handschriftlichen Fassungen miteinander beschränken
können. Vielmehr wird jede Consuetudines-Handschrift im Zusammenhang aller
liturgischen und nichtliturgischen Zeugnisse ihres Herkunftsklosters zu sehen sein.
Denn erst dann läßt sich beobachten, inwieweit eine Consuetudo in der alltäg-
lichen Praxis einer klösterlichen Gemeinschaft umgesetzt wurde oder ob sie etwa zu
vergleichender Information vorlag, so wie in einem der Benediktsregel folgenden
Kloster eine Handschrift neben der Benediktsregel auch die des Caesarius von Arles
oder eine andere enthalten konnte.«112
108 Pointiert in K. Hallinger, Consuetudo.
109 J. Wollasch, Neue Methoden; G. Constable, Monastic Legislation, S. 156 spricht sich dafür aus, dass die
Consuetudines Bernhards und Ulrichs von Cluny sowohl normativ als auch deskriptiv waren. J. Lec-
lercq, Pour une histoire, S. 787 bzw. Ders., Aux sources de la spiritualite, S. 91-173 sieht in den Gewohn-
heiten eher deskriptive als normative Texte. Ders., Zur Geschichte des Lebens in Cluny, S. 288 schreibt
den Consuetudines einen »elastischen und wandlungsfähigen Charakter« zu; J. Berger, M. Hillebrandt,
Die Geschichte der Gastfreundschaft, S. 122-123 und Dies., Le doyen ä Cluny, S. 405 sehen in den
Consuetudines rein deskriptive Texte.
110 Eine konzise Zusammenfassung findet sich bei M. Späth, Neue Impulse.
111 K. Schreiner, Verschriftlichung als Faktor; Ders., Mönchsein in der Adelsgesellschaft; J. Wollasch, Re-
formmönchtum und Schriftlichkeit; ebenso zeigt dies für Hirsau S. Patzold, Die monastischen Refor-
men. R. Schieffer, Consuetudines monasticae, S. 165 stellt fest, »daß im Hochmittelalter kaum je unver-
änderte Abschriften solcher Texte entstanden sind.«
112 J. Wollasch, Reformmönchtum und Schriftlichkeit, S. 286.
 
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