2. Analyse des Forschungsstands | 41
Einen ersten Schritt in diese Richtung unternahm Burkhardt Tutsch, der sich
mit der Rezeption der Consuetudines Ulrichs und Bernhards von Cluny in einigen
Klöstern befasste.113 Dabei diente ihm der individuelle Umgang dieser Klöster mit
den Consuetudines von Cluny als Gradmesser für die praktische Umsetzung der
Gewohnheiten vor Ort.114
Am Beispiel Clunys wurde immer wieder versucht, Typologien der Consue-
tudines und Statuten zu erstellen.115 Isabelle Cochelin schlug zuletzt eine Unter-
scheidung in Consuetudines alten und neuen Stils vor. Die Gewohnheiten des alten
Stils, worunter die consuetudines antiquiores und der liber tramitis zählten, waren
nicht für den internen Gebrauch in Cluny gedacht sondern für Klöster, die sich an
den Gewohnheiten Clunys orientieren wollten, ohne in dessen Abhängigkeit zu
geraten.116 Sie hatten daher einen vornehmlich deskriptiven Charakter und unter-
schieden sich von den Gewohnheiten neuen Stils, die ab dem Ende des 11. Jahrhun-
derts entstanden und entweder einen normativen oder einen direktiven Charakter
besaßen.117 Eine Schlüsselposition in dieser Entwicklung kam den Consuetudines
Bernhards von Cluny zu. Cochelin konnte zeigen, dass die Abtei von Cluny bis
zu Bernhards Text selbst keine schriftliche Fassung der lokalen Gebräuche besaß,
und dass diese durch die zunehmende Bildung der Mönche und die steigende Zahl
der conversi notwendig wurde.118 Bernhards Text dokumentierte somit erstmals die
Gewohnheiten von Cluny für Cluny.119 Nichtsdestotrotz wurde dieser Text be-
kanntlich in zahlreichen Klöstern verbreitet und erhielt dort nicht selten deutliche
Abänderungen, die teils auf einen sehr individuellen Umgang der empfangenden
113 B. Tutsch, Die Consuetudines Bernhards und Ulrichs; Ders., Studien zur Rezeptionsgeschichte; Ders.,
Texttradition und Praxis.
114 B. Tutsch, Texttradition und Praxis.
115 E Cygler, Regles, coutumiers et Statuts; L. Donnat, Les coutumiers monastiques; G. Melville, Handlung,
Text und Geltung; Ders., Regeln - Consuetudines-T'exte - Statuten; Ders., Action, Text, and Validity;
S. Barret, Regula Benedicti, consuetudines; A. Davril, Coutumiers directifs et coutumiers descriptifs.
116 I. Cochelin, Evolution, S. 38-40.
117 A. Davril, Coutumiers directifs et coutumiers descriptifs unterscheidet zwischen normativen, deskrip-
tiven und direktiven Consuetudines. Direktive Consuetudines beschreiben die im Gebrauch befindlichen
Gewohnheiten einer Gemeinschaft, um ihre weitere Befolgung zu sichern. Normative Consuetudines
definieren die Norm und werden einer Gemeinschaft von oben auferlegt. Direktive und normative
Consuetudines waren für den internen Gebrauch eines Klosters (monastere-source oder monastere-
recipiendaire) gedacht. Deskriptive Consuetudines hingegen für den externen Gebrauch. I. Cochelin,
Evolution, S. 32-33 stimmt dem zu, nimmt aber eine Differenzierung »en fonction de l’audienece«
und »en fonction de la Chronologie« vor. Als Beispiel für normative Consuetudines führt Cochelin die
Gewohnheiten Wilhelms von Hirsau, Lanfrancs von Canterbury und die Consuetudines der Großen
Kartause an, die dazu gedacht waren, in ihren jeweiligen Gemeinschaften und darüber hinaus in weiteren
Gemeinschaften als Norm angewendet zu werden. Als direktive Consuetudines dienen ihr die Gewohn-
heiten von Affligem, von Fleury und Le Bec.
118 L Cochelin, Peut-on parier, S. 17-52.
119 L Cochelin, Evolution, S. 46-47; Dies., Community and Customs, S. 239.
Einen ersten Schritt in diese Richtung unternahm Burkhardt Tutsch, der sich
mit der Rezeption der Consuetudines Ulrichs und Bernhards von Cluny in einigen
Klöstern befasste.113 Dabei diente ihm der individuelle Umgang dieser Klöster mit
den Consuetudines von Cluny als Gradmesser für die praktische Umsetzung der
Gewohnheiten vor Ort.114
Am Beispiel Clunys wurde immer wieder versucht, Typologien der Consue-
tudines und Statuten zu erstellen.115 Isabelle Cochelin schlug zuletzt eine Unter-
scheidung in Consuetudines alten und neuen Stils vor. Die Gewohnheiten des alten
Stils, worunter die consuetudines antiquiores und der liber tramitis zählten, waren
nicht für den internen Gebrauch in Cluny gedacht sondern für Klöster, die sich an
den Gewohnheiten Clunys orientieren wollten, ohne in dessen Abhängigkeit zu
geraten.116 Sie hatten daher einen vornehmlich deskriptiven Charakter und unter-
schieden sich von den Gewohnheiten neuen Stils, die ab dem Ende des 11. Jahrhun-
derts entstanden und entweder einen normativen oder einen direktiven Charakter
besaßen.117 Eine Schlüsselposition in dieser Entwicklung kam den Consuetudines
Bernhards von Cluny zu. Cochelin konnte zeigen, dass die Abtei von Cluny bis
zu Bernhards Text selbst keine schriftliche Fassung der lokalen Gebräuche besaß,
und dass diese durch die zunehmende Bildung der Mönche und die steigende Zahl
der conversi notwendig wurde.118 Bernhards Text dokumentierte somit erstmals die
Gewohnheiten von Cluny für Cluny.119 Nichtsdestotrotz wurde dieser Text be-
kanntlich in zahlreichen Klöstern verbreitet und erhielt dort nicht selten deutliche
Abänderungen, die teils auf einen sehr individuellen Umgang der empfangenden
113 B. Tutsch, Die Consuetudines Bernhards und Ulrichs; Ders., Studien zur Rezeptionsgeschichte; Ders.,
Texttradition und Praxis.
114 B. Tutsch, Texttradition und Praxis.
115 E Cygler, Regles, coutumiers et Statuts; L. Donnat, Les coutumiers monastiques; G. Melville, Handlung,
Text und Geltung; Ders., Regeln - Consuetudines-T'exte - Statuten; Ders., Action, Text, and Validity;
S. Barret, Regula Benedicti, consuetudines; A. Davril, Coutumiers directifs et coutumiers descriptifs.
116 I. Cochelin, Evolution, S. 38-40.
117 A. Davril, Coutumiers directifs et coutumiers descriptifs unterscheidet zwischen normativen, deskrip-
tiven und direktiven Consuetudines. Direktive Consuetudines beschreiben die im Gebrauch befindlichen
Gewohnheiten einer Gemeinschaft, um ihre weitere Befolgung zu sichern. Normative Consuetudines
definieren die Norm und werden einer Gemeinschaft von oben auferlegt. Direktive und normative
Consuetudines waren für den internen Gebrauch eines Klosters (monastere-source oder monastere-
recipiendaire) gedacht. Deskriptive Consuetudines hingegen für den externen Gebrauch. I. Cochelin,
Evolution, S. 32-33 stimmt dem zu, nimmt aber eine Differenzierung »en fonction de l’audienece«
und »en fonction de la Chronologie« vor. Als Beispiel für normative Consuetudines führt Cochelin die
Gewohnheiten Wilhelms von Hirsau, Lanfrancs von Canterbury und die Consuetudines der Großen
Kartause an, die dazu gedacht waren, in ihren jeweiligen Gemeinschaften und darüber hinaus in weiteren
Gemeinschaften als Norm angewendet zu werden. Als direktive Consuetudines dienen ihr die Gewohn-
heiten von Affligem, von Fleury und Le Bec.
118 L Cochelin, Peut-on parier, S. 17-52.
119 L Cochelin, Evolution, S. 46-47; Dies., Community and Customs, S. 239.