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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0046
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42 | 2. Analyse des Forschungsstands
Klöster mit diesem Text schließen lassen.120 Nach Cochelin sei Bernhards Text nie
»un texte de jurisprudence«, »une Compilation ä valeur juridique« gewesen, sondern
vielmehr »un texte de reference«.121
In ihren Arbeiten weist Cochelin vermehrt daraufhin, dass das Erlernen mit-
telalterlichen Mönchtums über Jahrhunderte vornehmlich durch Gesten und Worte
geschehen sei und dass geschriebene Texte hierbei und im Alltag der Mönche eine
weit geringere Rolle spielten.122 Susan Boynton unterstreicht dies für das Erlernen
der Liturgie. Erst mit den Zisterziensern seien liturgische Praktiken und Gesänge
nicht mehr durch Zuhören und Performanz tradiert worden, sondern vornehmlich
durch das geschriebene Wort.123 Auch Franz Neiske fragte nach der Bedeutung der
Consuetudines für eine Gemeinschaft und konnte feststellen, dass den entsprechen-
den Handschriften keine größere symbolische Bedeutung zukam.124
Nach Cochelin liege es unter anderem an der »plus grande dependance par
rapport ä l’ecrit« der jeweiligen »Reformer«, dass ab dem Ende des 11. Jahrhunderts
die cluniazensische Lebensweise nicht nur wie bislang durch Mönche, sondern nun
auch durch normative Consuetudines in Klöster vermittelt wurde.125 Am Beispiel
Wilhelms von Hirsau und Lanfrancs von Canterbury zeigt sie, dass der Rekurs auf
die Gewohnheiten Clunys nicht zwangsläufig auf eine Imitation dieser Lebensweise
abzielte. Vielmehr, so ihre These, sei die Schaffung neuer Gewohnheiten ex nihilo
ein äußerst schweres Unterfangen gewesen, weshalb »Reformer« lieber auf Bewähr-
tes setzten und dies nach ihren Bedürfnissen veränderten.126 Auch wenn die Initiati-
ve zur Einführung neuer Gewohnheiten meist vom Abt ausging, konnte sich dieser
nicht über die bestehenden Traditionen und den Rat der Brüder hinwegsetzen. Am
Beispiel Wilhelms von Hirsau und Ulrichs von Cluny zeigt Cochelin, dass der
Abt in erster Linie die Aufgabe hatte, die Brüder zu überzeugen und zusammen mit
den seniores der Gemeinschaft über die neue Lebensweise zu beraten. Cochelin
120 I. Cochelin, Evolution, S. 63-64.
121 I. Cochelin, Evolution, S. 65. Zur Funktion der Conduetudines als Inspirationsquelle vgl. Dies., Custo-
maries as Inspirational Sources.
122 I. Cochelin, Evolution, S. 35-36, weist daraufhin, dass die umfangreichen Kapitel zur Zeichensprache
Clunys kein einziges Zeichen für den Kodex mit den Consuetudines kennt; Dies., Community and
Customs, S. 234; Dies., When Monks Were the Book; früher bereits C. W. Bynum, Docere verbo et
exemplo.
123 S. Boynton, Oral Transmission; vgl. auch Dies., Orality, Literacy; Dies., Training for the Liturgy; Dies.,
Boy Singers in Medieval Monasteries; Dies., The Didactic Function; allgemeiner auch T. Kelly (Hg.),
Oral and Written.
124 F. Neiske, Ratio et ritus.
125 I. Cochelin, Evolution, S. 34; zu diesem Phänomen vgl. auch die einschlägigen Arbeiten von J. Wollasch,
Reformmönchtum und Schriftlichkeit; J. F. Angerer, Consuetudo und Reform. In Cluny selbst seien die
Gewohnheiten aber auch weiterhin mündlich tradiert worden. Vgl. dazu I. Cochelin, Community and
Customs, S. 243.
126 I. Cochelin, Community and Customs, S. 233.
 
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