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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0069
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2. Analyse des Forschungsstands | 65

hundert aufwarf.268 Vornehmlich im Umkreis der Orden des 12. Jahrhunderts ent-
standen zahlreiche Schriften, die sich mit dem homo interior befassten und auf eine
Schulung des individuellen Gewissens abzielten.269 Dass die Verinnerlichung und
die Auseinandersetzung mit dem menschlichen Gewissen aber keinesfalls ein reines
Spezifikum der »neuen Eremiten« und später der Vertreter der Orden war, veran-
schaulicht das Beispiel Guiberts von Nogent. Jay Rubenstein zeigte in seiner Stu-
die, dass Guibert als Vertreter des »traditionellen Mönchtums« in seinen Schriften
nicht nur eine Verinnerlichung der monastischen Ideale forderte, sondern auch eine
ausführliche Theorie der menschlichen Psyche entwickelte.270 Guibert steht somit
am Anfang einer Entwicklung, die im Laufe des 12. Jahrhunderts noch an Dynamik
gewinnen sollte und deren Ergebnis Melville folgendermaßen zusammenfasst:
»Die Sprache der Klöster war eine andere geworden. Sie galt trotz gegenseitiger
rechtlicher Abgrenzung über alle verschiedenen Regelobservanzen und Ordens-
zugehörigkeiten hinweg, denn jene Schriften waren austauschbar und wurden tat-
sächlich in hohem Maße ausgetauscht. Eine solche neue Sprache wollte ausdrücken,
was Klöster nunmehr sein sollten: institutionalisierte Orte zur Aufnahme und ge-
meinschaftlichen Bewahrung der Leitideen jenes religiösen Aufbruchs, der mit der
Neuformierung des eremitischen Gedankengutes begonnen hatte.«271
Fazit
Bei der Beschäftigung mit dem Phänomen der »Klosterreform« hat sich für die
Zeit vor dem Aufkommen der religiösen Orden ein verfassungsgeschichtlicher
Ansatz als wenig zielführend erwiesen. Weit gewinnbringender war dagegen der
Blick in die Gemeinschaften und auf ihre Beziehungen mit der Außenwelt. Nur
eine bessere Kenntnis dieser Bereiche ermöglicht es, das Phänomen der »Reform«
besser zu fassen und zu verstehen. In der Forschung der letzten 20 Jahre haben
Historiker hierzu wichtige Beiträge geleistet, wobei in den meisten Fällen die Frage
nach »Klosterreformen« weit in den Hintergrund getreten war. Beschäftigt man
sich nun aber erneut mit diesem Phänomen, ist es unabdingbar sich mit dem Innen-
und Außenleben der Gemeinschaften zu befassen: Fragen der Spiritualität spielen
268 C. Morris, The Discovery of the Individual; C. W. Bynum, Did the Twelfth-Century; S. R. Kramer,
C. W. Bynum, Revisiting the Twelfth-Century.
269 G. Melville, Der Mönch als Rebell; Beispiele solcher Schriften finden sich bei G. Melville, Die Welt,
S. 166.
270 J. Rubenstein, Guibert of Nogent; das Bild Guiberts von Nogent als Vertreter des »traditionellen
Mönchtums« wurde erstmals in Frage gestellt von M. D. Coupe, The Personality of Guibert.
271 G. Melville, Die Welt, S. 166-167.
 
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