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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0073
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3. Fragestellung | 69

»Reform« einer Gemeinschaft gegolten haben, die aber nirgends in der klosterei-
genen Historiographie als solche bezeichnet werden?
3.2. Die correctio des gemeinschaftlichen Lebens
Folgt man Melvilles breit angelegtem Institutionenbegriff, ist mit correctio nichts
anderes gemeint als die Wiederherstellung institutioneller Stabilität, die Überwin-
dung einer institutionellen Krise, die sich dadurch auszeichnet, dass die Kohärenz
zwischen spirituellen Leitideen, normativen Verhaltensstrukturen und Organisa-
tion nicht mehr besteht oder brüchig ist. In mittelalterlichen Quellen wird dies kurz
mit Begriffen, wie beispielsweise irregulariter vifere oder irreligiositas umschrie-
ben.275 Das Verhalten und die Lebensweise der Mönche entsprechen nicht mehr
ihren ursprünglichen Idealen. Eine correctio zielt somit darauf ab, diese Verbindung
wieder in Erinnerung zu rufen und ihr möglichst Dauerhaftigkeit zu verleihen. Ein
zentraler Aspekt einer correctio ist somit das propositum der Mönche.
Der Begriff propositum kann, wie Schürer darlegt, im monastischen Bereich
die unterschiedlichsten Bedeutungen tragen. So wird damit ganz pauschal die mo-
nastische Lebensweise in Abgrenzung zur Welt umschrieben.276 Mit propositum
kann sodann der Entschluss, das individuelle »Vorhaben« eines Menschen für die
vita religiosa gemeint sein und schließlich die konkrete monastische Lebensweise
eines Klosters.277 Am Beispiel der Kartäuser und Grandmontenser zeigt Schürer,
dass das propositum ab dem 12. Jahrhundert immer mehr die jeweils spezifischen
Lebensweisen und Leitideen von Gemeinschaften umschreiben kann, die dazu die-
nen, der Gemeinschaft nach innen Identität zu stiften und sich nach außen hin von
anderen abzugrenzen.278 Schürer sieht in denproposita des 12. Jahrhunderts unter
anderem jene spirituellen Leitideen, die Melvilles Institutionenbegriff zugrunde
liegen, weist aber zudem darauf hin, dass dieser Begriff in dieser Zeit seine Of-

275 Derartige Texte spiegeln freilich die »Siegerperspektive« wider. G. Melville, Aspekte zum Vergleich,
S. 148 weist darauf hin, dass »es für Krise [...] keine einheitliche mittelalterliche Begrifflichkeit gibt«. Am
Ehesten lasse sich dies in Begriffen wie »corruptio, deformatio, perturbatio oder gar dilapsio« fassen.
276 L. T. A. Lorie, Spiritual Terminology analysiert die Vita Antonii nach zentralen Begriffen des Mönch-
tums und setzt sie in Bezug zu Hieronymus, Augustinus und Cassian; M. Schürer, Das »propositum«,
S. 103-108 zieht zudem jeweils einen Text von Ambrosius und Hieronymus hinzu.
277 M. Schürer, Das »propositum«, S. 109-117.
278 M. Schürer, Das »propositum«, S. 126: »Das propositum gewinnt so die Wertigkeit einer Leitidee, die
nach innen integrierend und nach außen abgrenzend wirkt; es wird zu einem Instrument, mit dessen
Hilfe Identität und Differenz verhandelt und kommuniziert werden.«
 
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