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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0139
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3. Die Veränderungen durch die correctio | 135

auf die Liebe der Verwandten verzichtet haben, wenn wir uns selbst dem Kerker
der Klöster übergeben haben, wenn wir schließlich nicht gekommen sind, unseren
Willen zu tun, sondern Menschen über unseren Häuptern gesetzt haben, was müßte
nicht getan werden, daß dies alles nicht durch unsere Torheit und Nachlässigkeit für
uns verlorengeht?«577 Abschließend ermahnt Bernhard die Brüder von Sithiu noch
einmal, in dem begonnenen Werk zu verharren und es weiter zu führen.578
Dieser Text ist von höchstem Interesse, lässt er doch deutlich durchscheinen,
dass unter Abt Leonius einige Veränderungen in der Lebensweise von Saint-Bertin
durchgeführt worden waren. Ferruccio Gastaldelli sieht einen direkten Zusam-
menhang zwischen diesen Neuerungen und der 1139 wiedererlangten Freiheit von
Sithiu: »Diese Unabhängigkeit [...] bedeutete das Überwinden der geistigen Krise,
die die Unterwerfung unter Cluny im Jahr 1101 hervorgebracht hatte. Aus der be-
reits erreichten Regelmäßigkeit sollte man nun zu einem höheren Ziel streben.«579
Gastaldellis pauschale Bewertung der Zeit von 1101 bis 1139 als »geistige Krise«
ist sicherlich verfehlt und auch der vermutete kausale Zusammenhang zwischen
der wiedererlangten Freiheit des Klosters und den genannten Veränderungen sollte
genauer betrachtet werden.
Bernhards Brief verweist im Grunde genommen auf zwei Bereiche, in denen die
Gemeinschaft von Sithiu die Regel strenger befolgen wollte: zum einen ein strik-
teres Schweigegebot, zum anderen eine Verschärfung der Klausur.580 Vor allem der
Hinweis auf das strenge Schweigen erinnert stark an die Beschlüsse des benedikti-
nischen Generalkapitels von 1131, an dem Leonius vielleicht selbst teilgenommen
hatte.581 Die Chronik der Abtei von Lobbes, der Leonius bis 1137 als Abtes vorge-
standen hatte, erinnert daran, dass er unter anderem ein äußerst strenges Schwei-
gen in dieser Gemeinschaft eingeführt habe und bringt es in Verbindung mit dem
Vorhaben der im Generalkapitel versammelten Äbte.582 Auch der bekannte Brief
577 Bernhard von Clairvaux, Sämtliche Werke. Lateinisch/deutsch, Bd. 3, S. 733; Bernhard von Clairvaux,
Opera, Bd. 8, ep. 385, S.353: »Bene fecistis alienando vos magis ac magis ab actibus saeculi huius, quae est
munda et Immaculata religio. [...] Si mundum contempsimus Universum, si abrenuntiavimus affectibus
propinquorum, si monasteriorum carceri mancipavimus nosmetipsos, si denique non venimus facere
voluntatem nostram, sed imposuimus homines super capita nostra, quid non oportet fieri, ne forte con-
tingat haec omnia nobis insipientia nostra et neglegentia deperire?«
578 Bernhard von Clairvaux, Sämtliche Werke. Lateinisch/deutsch, Bd. 3, S. 733; Bernhard von Clairvaux,
Opera, Bd. 8, ep. 385, S. 353-354.
579 Bernhard von Clairvaux, Sämtliche Werke. Lateinisch/deutsch, Bd. 3, S. 1194.
580 Eben diese Punkte werden auch von Hermann, Liber, c. 79, S. 133 genannt.
581 Siehe dazu oben S. 30-35.
582 Gesta abbatum Lobbiensium, c. 22, S. 324: »Ac primum mali germen lingue scilicet loquacitatem res-
cindere curans, non solum in quibusdam locis et temporibus, sed ut illicita per licitorum abstinentiam
facilius tolleret, Omnibus et locis et temporibus intra claustri dumtaxat et ecclesiae vel dormitorii sive
refectorii parietes silentium indixit, ut videlicet quisquis huius taciturnitatis regulam hiis in locis qualibet
ex causa transgressus, nisi cognita culpa publice satisfaceret, se anathematis reum agnosceret. [...] Ad
 
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