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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0253
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3. Veränderungen im Innern | 249

beschreibt den bereits besiedelten, aber von Wasser und Sümpfen umgebenen Ort,
der zum Besitz der heiligen Rictrud gehörte, und an dem diese ein Kloster errichten
ließ. Rictrud selbst, so wird betont, entstammte einer edlen Familie von Königen
und Senatoren aus der Gascogne und war verheiratet mit dem Franken Adalbald,
mit dem sie einen Sohn und drei Töchter hatte. Als ihr Mann starb, habe sie sich
dem religiösen Leben hingegeben und sei in ihr Kloster gegangen, das mit der Hilfe
des heiligen Amandus erbaut worden war. Ihren Besitz habe sie zum großen Teil
dieser Gemeinschaft vermacht, aber auch an andere Klöster verteilt.1042 Dies sei am
Tag der Kirchweihe, dem 27. Oktober, in ihrem Testament festgehalten worden.1043
Mit dem Eintritt der Heiligen in die von Jonatus geführte Männergemeinschaft
habe sie zudem eine Frauengemeinschaft etabliert, in der sie bis zu ihrem Tod als
einfache Nonne lebte.1044
Die Lebensbeschreibung der heiligen Rictrud und der damit verbundene Fun-
dationsbericht von Marchiennes sind trotz ihrer Kürze von höchstem Interesse.
Vergleicht man nämlich diesen Text, wie Uge gezeigt hat, mit dem älteren Narrativ
Hucbalds von Saint-Amand, das bis dato die Grundlage der Rictrudlegende bildete,
werden kleine, aber bedeutende Abwandlungen sichtbar.
So wird zunächst die Herkunft der heiligen Rictrud in der Histoire-Polyptyque
mit dem Hinweis auf königliches Blut deutlich aufgewertet.1045 Die Bemerkung,
Marchiennes habe auf ihrem Besitz gelegen, erscheint in diesem Text zum ersten
Mal. Ebenso die Behauptung, die Heilige habe das Kloster gegründet, wobei sie der
heilige Amandus lediglich unterstützt habe. Diese auf den ersten Blick unschein-
baren Details sind für den Zweck dieser Schrift aber von großer Bedeutung. In ihr
wird die Patronin Marchiennes nicht nur zu einer mächtigen und einflussreichen
Frau in der Welt stilisiert, sondern auch und vor allem zur Gründerin der Gemein-
schaft und zur Stifterin des Klosterbesitzes. Damit gibt der Verfasser unmissver-
ständlich zu verstehen, dass der gesamte Besitz des Klosters nicht nur seit Genera-
tionen zum Unterhalt der Gemeinschaft diente, sondern auch, dass die Heilige noch
immer dessen eigentliche Eigentümerin war. Am Ende des Polyptychons wird dies
nochmals zusammengefasst, wenn es heißt:
»Was bemerkst Du in alledem? Leser, sage ich, was denkst Du über dieses kleine
Buch? Was bedeutet diese Beschreibung der Städtchen, Weiler und Dörfer? Du

1042 B. Delmaire, L’histoire-polyptyque, § 3, S. 67-69.
1043 B. Delmaire, L’histoire-polyptyque, § 5, S. 69-70.
1044 B. Delmaire, L’histoire-polyptyque, § 6-7, S. 70-71.
1045 Noch deutlicher wird dies bei Andreas von Marchiennes, der versucht, die dynastischen Verbindungen
aufzuzeigen. Vgl. dazu K. Uge, Creating the Monastic Past, S. 136-140. Zu seinem Interesse an Genea-
logien und dem Königshaus vgl. auch. K. E Werner, Andreas von Marchiennes.
 
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