Metadaten

Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0272
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
268 | II. Die Abtei von Marchiennes

Sicherheit auch die Intervention des Grafen. Auch wenn hiervon nicht direkt die
Rede ist, lässt der Brief der Kanoniker von Therouanne diese Vermutung zu, war
er doch an Karl den Guten adressiert. Dass der Graf durchaus Interesse an Mar-
chiennes zeigte, lässt sich gleich aus zwei Urkunden erschließen, in denen er sich
der Vogteirechte des Klosters annahm.
Die erste Urkunde ist auf das Jahr 1125 datiert und bestätigt eine berühmte Ur-
kunde Graf Balduins V. von 1038, in der die Rechte und Pflichten der Vögte von
Marchiennes definiert wurden. Auch wenn in der Forschung zwischenzeitlich der
berechtigte Verdacht geäußert wurde, die Urkunde von 1038 sei eine Fälschung des
frühen 12. Jahrhunderts, kommt ihr für die Geschichte des Klosters eine bedeuten-
de Rolle zu.1116 Die Bestätigung dieser Urkunde (beziehungsweise ihrer Fälschung)
durch Karl den Guten macht jedenfalls deutlich, dass das Kloster sich entschieden
gegen seine Vögte zur Wehr setzen wollte, aber auch dass der Graf selbst Interesse
daran hatte, die in Vergessenheit geratenen Besitz- und Machtverhältnisse wieder
klar zu definieren.
Dass der Konflikt mit dem Ministerialen Lambert von Reningelst bei weitem
kein Einzelfall war, zeigt die zweite Urkunde Karls des Guten für Marchiennes
von 1125. Darin grenzte der Graf die Vogteirechte zunächst in Bezug auf das Dorf
Haisnes deutlich ein und formulierte dann in allgemeiner Weise die Rechte und
Pflichten der Klostervögte.1117
Wie das Kloster seine Konflikte mit seinen eigenen Verwaltern, Untervögten
und Vögten beilegte, veranschaulichen drei bekannte Fälle. Zu Beginn steht der Fall
des Kastellans von Lille. Aus einer Urkunde Karls des Guten, die wohl auf das Jahr
1122 zu datieren ist, erfährt man von einer gütlichen Einigung zwischen dem Klos-
ter auf der einen Seite und dem Kastellan Roger und einem gewissen Lietald von
Biez auf der anderen. Gegenstand des Streits waren die Besitzungen und Rechte, die
das Kloster in Lorgies, einem in der La Bassee gelegenen Dorf, besaß. Diese seien
vom Kastellan und Lietald usurpiert, 1121 jedoch an das Kloster zurückgegeben
worden.1118 Die Gemeinschaft habe jeweils einen Teil davon aber sogleich wieder
ausgegeben. Lietald erhielt ihn in feodum, Roger in beneficium, nachdem er dem
Abt und dessen Nachfolgern hominium, fidelitas und servicium geleistet hatte.1119
1116 Die Debatte wird ausführlich nachgezeichnet von S. Vanderputten, Fulcards Pigsty, S. 99-100,
Anm. 49; zudem D. Heirbaut, Feudalism in the Twelfth Century Charters, S. 237, der die Begrifflich-
keiten aus der Urkunde bewertet und Zweifel an der Datierung hegt.
1117 E Vercauteren, Actes des comtes de Flandre, D 119, S. 272-275.
1118 Der Urkunde Karls des Guten geht wohl eine im Original erhaltene Urkunde des Bischofs von Arras
voraus, die auf das Jahr 1121 datiert ist (ADN 10H 191, 3029) und die in der Urkunde Karls in weiten
Teilen übernommen wurde. VgL dazu auch F. Vercauteren, Actes des comtes de Flandre, S. 255.
1119 F. Vercauteren, Actes des comtes de Flandre, D 111, S. 254-257: »[...]unumquemque etiam eorum, id
est Rogerum et Lietaldum, preter terragium et decimam, pro censu terre sue centum gallinas et quinque
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften