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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0423
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7. Zur Konstruktion einer kollektiven Identität | 419

ben gewertet werden.1675 Auch wenn das Beispiel von Montreuil Hermanns Dictum
widerlegt, macht es doch deutlich, welch hohen Stellenwert Hermann der Aufnah-
me von Frauen beimaß.1676 Bereits in seinem Liber de restauratione galt sein be-
sonderes Interesse dem weiblichen Zweig der Gemeinschaft, über den man jedoch
lediglich aus dieser Quelle erfährt. Die Chronik des Martinsklosters berichtet zwar,
dass Odo nach der zweiten existenziellen Krise der Gemeinschaft viele Frauen wie-
der in die Welt entlassen habe, da er sie nicht ernähren konnte.1677 Dennoch hat-
te diese Gemeinschaft zumindest für eine gewisse Zeit fortbestanden, da berichtet
wird, dass Mainsendis ihren Mann Rudolf noch zwölf Jahre überlebte und schließ-
lich über vierzig Jahre nach ihrer Konversion im Habit der Nonnen starb.1678 Die
Gemeinschaft der Frauen muss somit noch bis in die 1130er Jahre existiert haben.
Dass Hermann diese Besonderheit des propositum von Saint-Martin derart betont
und auch in den übrigen Werken eine besondere Sensibilität für weibliche Reli-
giösen zeigt und sie sogar indirekt verteidigt, macht deutlich, dass die Existenz der
weiblichen Gemeinschaft des Martinsklosters gefährdet war und einer besonderen
Legitimierung bedurfte. Unklar bleibt allerdings, ob es im Zusammenhang mit der
correctio von 1136 Veränderungen gab, die die Frauen der Gemeinschaft betrafen.
Fazit
Hermanns Liber de restauratione war ein Werk, das die correctio von Saint-Martin
ab 1136 maßgeblich unterstützte und vor allem auf die innere correctio des Klosters
abzielte. Mit seinem Text versuchte er eine kollektive Identität zu konstruieren, in
der sich jeder einzelne und jede innerklösterliche Gruppe der Gemeinschaft wie-
derfinden sollte. Das propositum, das Hermann in seinem Text letztlich formulierte,
war deshalb keinesfalls einheitlich. Es enthält genau genommen unterschiedliche
proposita mit unterschiedlichen Ausrichtungen. Einige Aspekte dieser proposita
weisen in ihrer großen Offenheit deutliche Parallelen zum propositum der abbates
comprovinciales und somit zu einer Form des ordo cluniacensis auf, andere hinge-
1675 Heriman, Les miracles, III, c. 17, S. 234: »quoniam reversa iste femine, nisis mirabili divini amoris igne
clarerent, nequaquam profecto tot tantosque labores antea feminis intemptatos, et inexpertos sustinere
valerent.«
1676 Die Frage, ab wann Nonnengemeinschaften dem Orden rechtlich angehörten, ist noch nicht vollstän-
dig geklärt; vgl. dazu B. Barriere, M. E. Henneau (Hgg.), Citeaux et les femmes; B. Degler-Spengler,
Zisterzienserorden und Frauenklöster, S. 213-220.
1677 Hermann, Liber, c. 70, S. 123.
1678 Hermann, Liber, c. 102, S. 170-171: »Mainsendis vero, quondam uxor eius, post mortem Radulfi fere
XII annis vixit completisque in sanctimoniali habitu plusquam XL annis presentem vitam terminavit
et in eodem cimiterio sepulta est.«
 
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