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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0424
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420 | III. Die Abtei Saint-Martin in Tournai

gen stellen wirkliche Spezifika des Martinsklosters dar. Die verschiedenen proposzta
und Versatzstücke sollten aber letztlich in ihrer Vielfalt zur Integration der diver-
gierenden Interessen und spirituellen Ausrichtungen innerhalb der Gemeinschaft
dienen. Während Odo hierbei eine zentrale Rolle als Integrationsfigur einnimmt
und als Personifizierung eines strengen klösterlichen Lebens dient, darf im Verweis
auf Cluny in erster Linie ein nach außen wirksamer Marker für die Qualität des
klösterlichen Lebens gesehen werden. Die Betonung der cluniazensischen Prägung
spricht zudem jene innerklösterliche Gruppe an, die sich wohl im Zuge der correc-
tio besonders für die Umsetzung dieses Ordos eingesetzt hatte. Weitere innerklös-
terliche Gruppen, die es zu integrieren galt, lassen sich allerdings nur vermuten und
sind äußerst schwer zu fassen. Eine Gruppe darf aber sicherlich in den Frauen der
Gemeinschaft und ihren Unterstützern gesehen werden, zu ihnen zählte zweifels-
ohne der Chronist selbst.
Hermanns auffallende Affinität zu Premontre verweist vielleicht auf eine wei-
tere innerklösterliche Gruppe. Bedenkt man nämlich, dass sein Werk im Auftrag
der Brüder von Saint-Martin verfasst wurde, ist es weniger wahrscheinlich, dass
die Begeisterung für Norbert und seine Gemeinschaften ausschließlich Hermanns
persönliche Meinung widerspiegelte. Der Hinweis, die Lebensweise von Premontre
sei heutigen Tages noch weit besser als jene Clunys, spricht somit eine bestimmte
Gruppe in der Gemeinschaft an: Gerade vor dem Hintergrund, dass Saint-Martin
mit der Kanonikergemeinschaft von Saint-Nicolas-des-Pres einen nicht zu unter-
schätzenden Rivalen erhalten hatte, könnte die Lebensweise von Premontre von
manchen Mönchen als eine durchaus mögliche Alternative angesehen worden sein.
Neben Integration zielte Hermann mit seinem Werk aber nicht zuletzt auch auf
eine gewisse Abgrenzung ab. Während der Name Clunys weithin bekannt war,
hatte der Name Odos einen äußerst begrenzten Wirkkreis. Das Erinnern an seine
Person und seine proposita machte Saint-Martin somit zu einer Gemeinschaft, die
eine gewisse spirituelle Eigenständigkeit behaupten konnte. Gerade angesichts des
Anspruchs der benediktinischen Generalkapitel, das Mönchtum zu vereinheitlichen
und zu kontrollieren, darf in Hermanns Werk der Versuch gesehen werden, für die
eigene Gemeinschaft eine kollektive, auf die Geschichte und Spiritualität des eige-
nen Hauses basierende Identität zu schaffen, die sich zugleich von einer möglichen
korporativen Identität der Generalkapitel abgrenzte.
 
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