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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0460
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456 | IV. Die Abtei von Anchin

All dies trifft auf das Auctarium zu: Es entstand in einer Zeit der inneren Unsicher-
heit und Zerrissenheit, aber auch in einer Zeit, in der die ursprünglichen Ideale der
Gemeinschaft in Vergessenheit geraten waren. Als neuer Abt stand Alvisus somit
vor der Aufgabe, sein Amt zu sichern, die Gemeinschaft zu einen und zu ihren
ursprünglichen Idealen zurückzuführen - kurzum: vor der correctio der Gemein-
schaft.
Welch große identitätsstiftende Wirkung das Auctarium gehabt haben dürfte,
zeigt bereits die Tatsache, dass die Geschichte des Klosters in der Weltgeschichte
verankert und somit als Teil des göttlichen Heilsplans verstanden wurde.1819 Aber
auch der Inhalt dieses Texts lässt dies erkennen. Mit seinen annalenartigen, mitun-
ter sehr detaillierten Einträgen ist das Auctarium kein am Stück entstandener Text.
Vielmehr lassen sich zwei Phasen erkennen, von denen die erste die Einträge von
1079 bis 1111 umfasst und wohl in einem Zuge geschrieben wurde. Auffallend, al-
lerdings für die Zeit keinesfalls untypisch ist die Tatsache, dass das Auctarium den
Abbatiat des Alvisus nahezu vollständig ausblendet.1820 Die Einträge setzen erst
wieder mit dem Jahr 1130 ein und enden 1135.1821 Ob die Einträge dieser zweiten
Phase sukzessive vorgenommen wurden, ist nicht sicher, zumal sie thematisch sehr
eng miteinander verbunden sind. Die beiden Phasen, die sich bei der Abfassung
des Auctarium feststellen lassen, korrespondieren somit mit dem Anfang und dem
Ende der Amtszeit des Alvisus.1822 Inwiefern beide Teile des Auctarium identitäts-
stiftend sind, soll im Folgenden analysiert werden.
Für den Zeitraum zwischen 1079 und 1135 beinhaltet das Auctarium 21 Ein-
träge, die Ereignisse wiedergeben, die direkt oder indirekt in Verbindung mit der
Klostergeschichte stehen. Im ersten Teil des Auctarium (1079-1111) lassen sich zwei
Themenschwerpunkte, im zweiten Teil (1130-1135) ein weiterer erkennen.
Der erste Themenbereich kreist um die Anfänge der Gemeinschaft. Im Gegen-
satz zu den Annalen, die sich auf einen kurzen Satz zur Gründung Anchins be-
schränken, liefert das Auctarium einen sehr ausführlichen Bericht zum Jahr 1079.
Obgleich die narrationes der beiden Gründungsurkunden mit Sicherheit als Quelle
für diesen Eintrag gedient hatten, gibt es keine wörtlichen Übernahmen.1823 Im Auc-
tarium wird zunächst der Entschluss der beiden Ritter, Walter und Sicher, themati-
1819 VgL hierzu H. W. Goetz, Geschichtsschreibung, S. 177-207.
1820 Auch Simon von Saint-Bertin thematisiert seinen eigenen Abbatiat nicht; siehe dazu oben S. 125-130.
1821 Die erste Rezension des Auctarium setzt J. P. Gerzaguet, L’abbaye d’Anchin, S. 30-31 auf die Zeit
zwischen 1113 und 1135 an.
1822 Der erste Teil entstand ab 1113, der zweite wohl 1135 oder zumindest in den 1130er Jahren und somit
nach der Wahl des Alvisus zum Bischof von Arras (1131).
1823 H. Patze, Klostergründung und Klosterchronik, S. 251-284; J. Kastner, Historiae fundationum,
S. 53-64.
 
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